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«Agilität ist in Krisen essenziell»

Simone Wyss Fedele, CEO von Switzerland Global Enterprise (S-GE), spricht im Interview mit der Handelszeitung über die Corona-Krise, agile KMU und Alibaba.

Simone Wyss Fedele

Ende April steht das Aussenwirtschaftsforum auf dem Plan. Wird es stattfinden?
Simone Wyss Fedele: Aufgrund der Situation um das Coronavirus haben wir das Aussenwirtschaftsforum am 28. April abgesagt. Wir halten uns streng an die Vorgaben der Behörden – die Gesundheit unserer Kunden, Partner und Mitarbeitenden hat erste Priorität. Gemeinsam mit unseren Partnern planen wir ein neuartiges Event-Format für das zweite Halbjahr 2020.

Das Thema des Anlasses hätte gelautet: «Als KMU international durchstarten – mit Pioniergeist zum Erfolg». Was wäre Ihr Rezept?
Der Grundstein für den internationalen Erfolg von Schweizer Firmen liegt in fast allen Fällen im Alleinstellungspotenzial des Produkts, meist einer Technologie oder Qualitätsführerschaft in einer Nische, und einer auf den Zielmarkt zugeschnittenen
Marktbearbeitungsstrategie. Aufgrund der zunehmenden Volatilität im internationalen Geschäft wird es künftig zusätzlich entscheidend sein, dass international tätige KMU agil und solider als ihre Konkurrenz mit Unsicherheiten umzugehen vermögen. In Krisensituationen kann man so gezielt Marktanteile gewinnen. Das war in der letzten Finanz- und Schuldenkrise der Fall, beim Brexit und auch der innovative Umgang mit dem Coronavirus bietet dieses Potenzial.

Wie wirkt sich denn die aktuelle Coronavirus-Pandemie auf hiesige KMU aus?
Seit Januar melden uns Kunden laufend, dass sie Unterbrüche in ihren Lieferketten aus China befürchten oder von solchen bereits betroffen sind. Dies hängt mit der heute starken Integration der chinesischen Wirtschaft in die Weltwirtschaft zusammen: Alle Industrien beziehen wichtige Komponenten, Teile und Halbfabrikate aus China. Gerät die chinesische Wirtschaft ins Stocken, kann dies das gesamte globale Geschäft eines KMU betreffen.

Die Krise hat heute ein globales Ausmass.
Die Auswirkungen sind bereits deutlich sichtbar. Entsprechend haben wir unser Dienstleistungsangebot für internationale KMU gezielt nach deren Bedürfnissen in dieser Krise ergänzt. Die Betroffenheit ist hoch. Auf der ganzen Welt werden jede Woche wichtige Branchenmessen abgesagt, die lokale Nachfrage nimmt gerade in den stark betroffenen Ländern ab und es ist nur noch eine Frage der Zeit, dass sich das globale Wirtschaftswachstum vorübergehend deutlich verringert.

Welche Massnahmen lohnen sich in der aktuellen Situation?
Viele Firmen sind derzeit mit dem Risikomanagement beschäftigt. Höchste Priorität hat die Sicherheit der eigenen Mitarbeitenden weltweit. Gleichzeitig sollten KMU unbedingt versuchen, ihre Geschäftskontinuität aufrechtzuerhalten, weshalb Switzerland Global Enterprise (S-GE) viele KMU, die von Störungen in den Lieferketten aus China betroffen sind, bei der Suche nach alternativen Beschaffungsquellen unterstützt. Zu den grössten Risiken für Firmen in Krisenzeiten gehört, wenn ein reaktives Risikomanagement keinen Fokus auf das operative Geschäft mehr erlaubt. Wir sind also wieder bei der Agilität: Ein agiler Umgang mit Krisensituationen ist für den nachhaltigen Erfolg im internationalen Geschäft essenziell.

Die KMU sind stark gefordert.
Im Unterschied zu Grossfirmen haben die meisten KMU keine Abteilungen, die sich diesem Aspekt widmen können. Deshalb zeigen wir bei S-GE interessierten KMU auf, was die Implikationen globaler Entwicklungen wie des Coronavirus sein können, wie sich die internationalen Märkte entwickeln, wo es neues Geschäftspotenzial gibt und wie sie ihre Risiken minimieren.

Wie beurteilen Sie ansonsten die globalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen?
Sie sind unsicher. Hiermit müssen international tätige Firmen umgehen können. So sehen wir seit einigen Jahren, dass die Volatilität im globalen wirtschaftlichen Umfeld immer mehr zunimmt. Allein 2019 hatten wir die Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und China, scheinbar unendliche Brexit-Diskussionen, verschiedene geopolitische Spannungen sowie wachsende Sorgen im Zusammenhang mit dem Klimawandel, die weltweit zu Protesten führten. Auch der Protektionismus breitet sich schon seit der Finanzkrise weltweit immer mehr aus. Und aktuell bekommt die Weltwirtschaft die Auswirkungen des Coronavirus zu spüren.

Wohin führt dies?
All diese Entwicklungen münden in vielen Industrieländern in einer zunehmend globalisierungs- und offenheitskritischen Stimmung – auch in der Schweiz. Diese Entwicklung bereitet mir am meisten Sorgen, zumal wenn man bedenkt, dass der wirtschaftliche Erfolg und der Wohlstand der Schweiz als kleine, ressourcenarme Volkswirtschaft ganz wesentlich auf unserer Offenheit und der globalen Integration unserer Wirtschaft in den internationalen Handel basieren.

Wie geht es Switzerland Global Enterprise in diesem Umfeld?
Die Corona-Situation hält auch uns auf Trab. Es gilt in kurzer Zeit die Sicherheit unserer Mitarbeitenden, die nötige Kundenunterstützung sowie das unternehmerische Krisenmanagement sicherzustellen. Wir können uns dabei auf eine gute digitale Infrastruktur verlassen, die allen Mitarbeitenden das Arbeiten im Home Office ermöglicht. Wir sind hier auf Kurs.

Und abgesehen vom Coronavirus?
Es läuft gut. Entscheidend ist hier die Zufriedenheit unserer Kunden und Auftraggeber sowie die Qualität der Zusammenarbeit mit unseren Partnern. 2019 konnten wir mit ihnen über 5000 KMU bei ihren internationalen Geschäften unterstützen und über 130 internationale Firmen an die Kantone zur Ansiedlung weitervermitteln – dies bei anhaltend hoher Kundenzufriedenheit. Zudem habe ich meine ersten Monate im Amt intensiv für den Dialog mit unseren Auftraggebern und Partnern genutzt. Die Rückmeldungen zu unserer Strategie und Arbeit sind positiv. Ausgehend von dieser starken Ausgangslage sind wir bereit, auch in volatilen Zeiten die richtigen Schwerpunkte zu setzen.

Sie stehen S-GE seit Oktober vor. Wohin wollen Sie die Organisation führen?
Zentral ist für uns nach wie vor, gemeinsam mit unseren Partnern unseren Kunden zu jeder Zeit die bestmögliche Leistung zu bieten – in der Exportförderung sind dies KMU, die wir bei ihrem internationalen Geschäft unterstützen. In der Standortpromotion überzeugen wir ausländische Firmen von den Vorteilen einer
Ansiedlung in der Schweiz. Wir wollen einen Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit unserer Kunden leisten und so Arbeitsplätze und Wohlstand für die Schweiz schaffen.

Die KMU sollten unbedingt versuchen, ihre Geschäftskontinuität aufrechtzuerhalten.

Welche Schwerpunkte werden Sie setzen?
Um unsere Ziele zu erreichen, verfolgen wir vier strategische Schwerpunkte: Das Umfeld für unsere Kunden entwickelt sich dynamisch und damit auch ihre Bedürfnisse. Oberste Priorität hat daher, dass wir gemeinsam mit unseren Partnern alle unsere Aktivitäten laufend auf die Kundenbedürfnisse ausrichten. Hierfür setzen wir digitale Technologien konsequent ein und stärken unser Partnernetzwerk sowie unser globales Aussennetz aus Kundensicht fokussiert weiter. Der Vergleich mit unseren Schwesterorganisationen im Ausland gibt uns hier wertvolle Impulse.

S-GE will die erste Anlaufstelle für KMU sein, die exportieren möchten, aber keine Zeit haben, alle Angebote zu evaluieren. Wie wollen Sie dies erreichen?
Dank unserer Unabhängigkeit und Non-Profit-Ausrichtung, dem breiten Partnernetzwerk sowie der globalen Aufstellung in 27 Märkten können wir diese Rolle optimal wahrnehmen. Wichtig ist, dass die KMU in der Schweiz wissen, dass es S-GE gibt und welchen Mehrwert wir ihnen gemeinsam mit unseren Partnern zu welchen Konditionen anbieten können.

Wie gehen Sie vor?
Zum einen sind die Weiterempfehlungen unserer Kunden und Partner entscheidend.
Diese sind sehr hoch. Zum anderen ist es wichtig, dass wir dieses positive Grundrauschen gezielt durch ausgewählte Aktivitäten, welche unsere Wahrnehmung bei den international tätigen KMU stärken, ergänzen. Hierbei fokussieren wir uns bewusst auf deren Bedürfnisse, für die wir gemeinsam mit unserem Partnernetzwerk Lösungen anbieten können.

Wie sehr sind Sie mit den spezifischen Anliegen der KMU vertraut?
Aufgrund meines Erfahrungshintergrunds bei der Helvetia Versicherung, bei Takeda
Pharmaceuticals und Novartis bin ich mit den Internationalisierungsbedürfnissen unserer Kunden – ob Schweizer KMU oder ausländische Investoren – im Rahmen unserer Mandate vertraut und kann mit unserem Führungsteam sicherstellen, dass wir als Organisation die richtigen Entscheide treffen. Interessanterweise unterscheiden sich die Bedürfnisse von kleinen und grossen Firmen, wenn es um den Eintritt in neue Märkte geht, kaum. Beide müssen sich zum Beispiel entscheiden, ob sie vor Ort mit einem Partner zusammenwirken, eigens eine Filiale eröffnen oder einen digitalen Channel nutzen wollen. Grössere Firmen haben für solche Fragen spezialisierte Teams im eigenen Haus, KMU in den meisten Fällen nicht.

Und hier kommt S-GE ins Spiel?
Genau – für Internationalisierungsfragen, darauf sind wir im Rahmen der Exportpromotion spezialisiert. In der Schweiz und an unseren Standorten im Ausland haben wir Teams mit dem nötigen Erfahrungshintergrund und ein einzigartiges nationales und globales Partner-Netzwerk, um Schweizer KMU bei ihrem internationalen Erfolg zu unterstützen. Für nationale KMU-Anliegen sind die Dach- und Branchenverbände die Kompetenzzentren.

Wo sehen Sie bei S-GE Handlungsbedarf?
Die Schwerpunkte habe ich erwähnt. Besonders spannend ist sicherlich die kontinuierliche Weiterentwicklung unserer Dienstleistungen, um die sich stetig verändernden Kundenbedürfnisse agil bedienen zu können. Ein anderes spannendes Thema, welches die Bedeutung unseres Partnernetzwerks unterstreicht, ist zum Beispiel E-Commerce. Anfang Jahr konnten wir etwa mit Alibaba als weltweit erste Exportpromotionsagentur eine Absichtserklärung für den asiatischen Raum unterschreiben, die eine Kooperation im Bereich Online-Handel vorsieht. E-Commerce ist im asiatischen Raum einer der wichtigsten Vertriebskanäle. Unsere Kooperation mit Alibaba hat das Ziel, Schweizer KMU aufzuzeigen, wie sie diesen Kanal für ihren Vertrieb in der Region optimal nutzen.

 

Dieses Interview ist am 19. März 2019 in der Handelszeitung erschienen.

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