In den vergangenen 15 Jahren haben Sie in Ihrer Rolle als Umweltminister, Professor, Berater der Weltbank, Vorsitzender von Stiftungen und Träger diverser internationaler Auszeichnungen die Entwicklungen von Klimawandel und Umwelttechnologien sehr genau verfolgt. Welche globale Entwicklung hat Sie am meisten beeindruckt?
Die grösste Revolution, die in letzter Zeit in ganz Lateinamerika stattgefunden hat, war zweifellos der Einsatz von erneuerbaren Energien, der exponentiell gewachsen ist. Erneuerbare Energien machen heute einen grossen Teil der Investitionen im Energiesektor aus.
Gilt das auch für Chile?
Absolut. In Chile wurden im Jahr 2020 Investitionen für etwa 1’000 Megawatt getätigt, so dass nun insgesamt rund 2’600 Megawatt an erneuerbarer Energie erzeugt werden. Das ist ein historisches Wachstum ohne Beispiel. Einzig der Vergleich mit der industriellen Revolution kommt dem nahe.
Die von der Europäischen Union angekündigte Erhöhung der Importsteuer wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf unsere kohlenstoffintensiven Exporte auswirken. Darum müssen wir die CO2-Emissionen in unserer Produktion senken.
Chiles Exportbilanz wird von Bergbau- und Agrarprodukten dominiert. Beides sind Milliardenbranchen, in denen Cleantech besonders effektiv eingesetzt werden kann. Wie kann dieses grosse Potenzial am besten genutzt werden?
Der Wohlstand des Landes ist historisch bedingt vom Abbau natürlicher Ressourcen abhängig. Für jeden Dollar müssen etwa 2,4 Kilogramm Material gewonnen werden, fast das Dreifache des OECD-Durchschnitts. Chile muss also lernen, effizienter mit seinen Ressourcen umzugehen. Die Investition in eine klimabeständige Landwirtschaft scheint eine Massnahme zu sein, die auch die Wirtschaft des Landes nachhaltiger macht. Auch der Bergbau braucht eine Umstellung auf saubere Technologie.
Die von der Europäischen Union angekündigte Erhöhung der Importsteuer wird sich aller Wahrscheinlichkeit nach auf unsere kohlenstoffintensiven Exporte auswirken. Darum müssen wir die CO2-Emissionen in unserer Produktion senken. Diese Umstellung kann zugleich den Grundstein für eine neue grüne Wasserstoffindustrie legen, die andere Sektoren brauchen, um sauberer zu werden. Chile profitiert von Klimainitiativen auf der ganzen Welt, die eine verstärkte Nachfrage nach Kupfer und Lithium zur Folge haben. Für Chile besteht hier die Chance, seine Wirtschaft umzugestalten und von einem abbauorientierten zu einem Markt zu werden, dessen Produktionssektor von erneuerbaren Energien dominiert wird.
Als weltweit führender Lieferant von Ressourcen wie Kupfer, Lithium und Kobalt spielt Chile eine strategische Rolle beim Ausbau der Elektromobilität. Wie positioniert sich das Land, um ein verantwortungsvoller Partner innerhalb von Wertschöpfungsketten zu sein?
Chile darf seinen Vorsprung bei der Lieferung der Rohstoffe, die für den Übergang zur Emissionsfreiheit benötigt werden, nicht verlieren. Die Weltbank schätzt, dass doppelt so viel Kupfer wie heute benötigt wird, um den Bedarf bei der Verdrahtung von Solarpanelen, Windturbinen, Speichersystemen und elektrischen Batterien zu decken. Gleiches gilt für Lithium, wo wir unseren Anteil am internationalen Markt verloren haben und die Führung zurückgewinnen müssen, aber auf nachhaltige Weise. Wir sind auch in der Lage, Kobalt zu liefern, einen Rohstoff, dessen Abbau in Konfliktgebieten bekanntermassen mit vielfältigen Problemen verbunden ist, wie z. B. im Fall der Republik Kongo, wo der Abbau von Kobalt mit Kinderarbeit einhergeht. Hier bietet sich für Chile die Möglichkeit, als verantwortungsvoller Partner zur Stelle zu sein, der dafür sorgt, dass die Gewinnung von Kupfer, Lithium oder Kobalt nicht zur Verschlechterung der Wasserversorgung oder der Luftqualität beiträgt oder den Klimawandel befeuert, und dass die betroffenen Gemeinden in die Entwicklung einbezogen werden. Das ist die Vision, die wir haben müssen, um das bestehende ökonomische Ungleichgewicht zu beenden und durch den Aufbau einer grünen Wirtschaft zu ersetzen.
Sie gehören einem exklusiven Gremium an, das die chilenische Regierung bei ihrer «Green Hydrogen»-Strategie berät. Welche Rolle wird Chile in Zukunft bei der globalen Energiewende spielen und was muss dafür getan werden?
Das Potenzial für grünen Wasserstoff ist gigantisch. Chile hat etwa 70-mal mehr Potenzial im Bereich der erneuerbaren Energien als es heute verbraucht. Um diesen Vorteil zu nutzen, müssen wir erneuerbare Energien in mit Solar- und Windkraft erzeugte synthetische Kraftstoffe umwandeln. Diese braucht die Welt, um schwere Maschinen in Anwendungen zu betreiben, die nicht für den Einsatz von Elektrizität gemacht sind. Chile setzt seine Hoffnungen auf die Ablösung von Kupfer, das auf lange Sicht irgendwann erschöpft sein wird, durch einen unendlich erneuerbaren Brennstoff wie Wasserstoff. Hier liegt der Schlüssel zur Transformation der Produktionsmatrix.
Deshalb ist es wichtig, dass wir technologische Partnerschaften anstreben, mit denen wir Lösungen für Anwendungen wie schwere Maschinen entwickeln können. Eine der grössten Herausforderungen auf diesem Gebiet ist die Nutzung von grünem Wasserstoff.
Welche Rolle können internationale Anbieter innovativer und sauberer Technologien spielen?
Um die genannten Lösungen realisieren zu können, brauchen wir die Unterstützung internationaler Zulieferer. Zum Beispiel solche, die Technologien entwickeln und bereitstellen, die es heute noch nicht gibt. Die Einführung eines treibstofffreien Bergbaus, die Innovationen, die nötig sind, um Schiffe, Züge und Busse betreiben zu können, all das bietet noch viel Entwicklungspotenzial. Obwohl wir also die Möglichkeit haben, den billigsten grünen Wasserstoff der Welt zu produzieren, weil wir den wichtigsten Input – erneuerbare Energie – haben, bedeutet das nicht, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Deshalb ist es wichtig, dass wir technologische Partnerschaften anstreben, mit denen wir Lösungen für Anwendungen wie schwere Maschinen entwickeln können. Eine der grössten Herausforderungen auf diesem Gebiet ist die Nutzung von grünem Wasserstoff.
Über Marcelo Mena
Marcelo Mena ist Wissenschaftler, Professor, Politiker und Aktivist. Er ist Direktor des Climate Action Center an der Pontificia Universidad Católica de Valparaíso (PUCV) und Mitglied des WEF Global Futures Council on Clean Air. Zuvor war er Practice Manager der Abteilung für Klimaforschung der Weltbank und von 2014 bis 2018 Vizeminister und Umweltminister Chiles unter Präsidentin Bachelet. Er leitete mehrere Umweltinitiativen, oft die ersten ihrer Art weltweit, wie etwa die Einführung von Steuern auf den Verkauf von Neuwagen und eine auf die Bekämpfung der lokalen und globalen Luftverschmutzung ausgerichtete Stromerzeugung. Er wirkte unter anderem mit bei der Ausarbeitung eines bahnbrechenden Abkommens zum Ausstieg aus der Kohleverstromung, bei der Schaffung von 45’000 Quadratkilometern Nationalpark, beim Schutz von 1,3 Millionen Quadratkilometern Meeresgebiet und bei der Einführung des ersten nationalen Plastiktütenverbots auf dem amerikanischen Kontinent.
Bei der Weltbank war Mena an der Gründung der Coalition of Finance Ministers for Climate Action beteiligt, der 53 Minister beigetreten sind, die über Staatshaushalte in Höhe von jährlich 2,9 Billionen US-Dollar oder 10 Prozent des globalen BIP verfügen. Mena wirkte ausserdem bei der Entwicklung des Action Plan on Climate Change Adaptation and Resilience und der Gestaltung der neuen Phase der NDC Support Facility mit.
Marcelo Mena promovierte im Bereich Umwelttechnik. Sein wissenschaftliches Interesse galt dabei den externen Effekten von Biokraftstoffen, Stromerzeugung, Transport und Wohnungsheizung. Er nutzte seine Forschung, um sich für erneuerbare Energien einzusetzen und auf strengere Vorschriften zu drängen, die die umweltschädliche Kohleverstromung in Chile stoppen. Im Laufe seiner Karriere erhielt er Auszeichnungen von UNEP, National Geographic, Oceans Unite, NASA und EPA sowie Stipendien vom MIT und der Fulbright-Kommission.