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Die Telemedizin in Österreich ist auf dem Vormarsch

Telemedizin ist in Österreich schon länger ein Thema, jedoch hat sie durch Corona und den damit einhergehenden Abstandsregelungen stark an Bedeutung gewonnen. Der Swiss Business Hub Austria hat sich mit dem Experten in Sachen Telemedizin, Herrn Dr. med. Andrea Vincenzo Braga zu einem Interview getroffen und mit ihm über die aktuelle Situation in der Telemedizin in Österreich gesprochen. 

Telemedizin

Warum erfuhr die Telemedizin in den letzten Jahren einen regelrechten Ansturm?

Gründe für diesen Boom in der Telemedizin sind vor allem die Ersparnis von Zeit und Geld für Anfahrtskosten, keine Wartezeiten sowie die Eliminierung einer Ansteckungsgefahr. Ein weiterer wichtiger Punkt ist ein sich veränderndes Versorgungssystem, da sich die medizinische Grundversorgung massiv ausdünnt und mit einem Mangel an Allgemeinmedizinern in den kommenden Jahren zu rechnen ist. Dieses Phänomen ist nicht nur in Österreich zu beobachten, sondern auch in der Schweiz und in Deutschland. 

Wann und was hat sich durch Corona verändert?

Der Startschuss des Booms in der Telemedizin ist zu Beginn der Corona Pandemie, sprich Frühling 2020 gefallen. Es gab eine grosse Verunsicherung während des ersten Lockdowns über die generelle medizinische Situation. Zudem waren viele Therapeuten durch die behördlichen Ankündigungen verunsichert. Zur gleichen Zeit stieg die Akzeptanz auf der Versicherungsseite. Krankschreibungen über das Telefon, das elektronische Verschicken von Rezepten und die generelle elektronische Konsultation wurden ermöglicht. Zudem funktionierte nun die Abrechnung solcher telemedizinischen Konsultationen. Themen, die seit 10 Jahren politisch blockiert wurden, haben sich auf einmal gelöst. Die Leute haben gemerkt, dass man nicht zwingend irgendwo sitzen und warten muss, wenn man eine Krankschreibung braucht, oder eine kurze Frage hat.

Wie sieht die aktuelle Situation in der telemedizinischen Branche aus?

Aktuell hat der Run auf elektronische Konsultationen wieder abgenommen. Was ausserdem abgenommen hat, sind die vielen «unnötigen» Arzt- und Ambulanzbesuche. Während des Lockdowns haben über 90% der therapeutischen Gespräche online stattgefunden – dies hat sich nun wieder bei 25% eingependelt. Die Videokonsultation hat während Corona aufgrund der niedrigen Tarife eine untergeordnete Rolle gespielt. Generell ist das regulatorische Umfeld noch nicht so weit, dass es sinnvoll die Telemedizin abbildet, da gibt es sehr viel Unsicherheit und Luft nach oben. 

Wofür ist der Verein Telemed Austria zuständig?

In Österreich werden die Interessen in Sachen Telemedizin vom Verein Telemed Austria vertreten. Die grössten Ziele und Daseinsberechtigungen dieses gemeinnützigen Vereins sind einerseits die Entmystifizierung der gesamten Telemedizinbranche und andererseits die Qualitätssicherung. Darüber hinaus arbeitet die Telemed Austria gemeinsam mit der Quality Austria an einem Konzept für die Zertifizierung von telemedizinischen Plattformen und auch von den Leuten die Telemedizin betreiben. 

Ist das so genannte «Telemedizinische Gütesiegel» der Telemed Austria in irgendeiner Art und Weise staatlich kontrolliert, oder rein privatwirtschaftlich?

Das Telemedizinische Gütesiegel ist ein rein privatwirtschaftliches Gütesiegel, das jedoch im engen Kontakt zu staatsnahen Stakeholdern entstanden ist. Um dieses Zertifikat zu bekommen, muss man zwei Phasen durchlaufen. Der erste Teil ist die Selbstdeklaration (Prozessbeschrieb, DSGVO-Konformität, Datenstruktur, technische Eckpfeiler), danach erfolgt ein Audit der Quality Austria, um eventuelle Schwachstellen auszumerzen.

Kann im Prinzip jeder Allgemeinarzt Videokonsultationen durchführen?

Ein Allgemeinmediziner benötigt im Grunde hierfür keine Zusatzqualifikation und es steht jedem Arzt frei, diese durchzuführen. Ein sehr wichtiger Punkt dabei ist die Kommunikation, denn nicht jeder Arzt kann auch gut kommunizieren. Per Video ist es noch wichtiger gut kommunizieren zu können, denn hierfür muss man mehr Informationen abholen und transportieren. 

Eignet sich ELGA (elektronische Gesundheitsakte) als Infrastruktur für die Telemedizin?

Die ELGA ist nicht geeignet für die Kommunikation, die es bei der Telemedizin bräuchte. Es würde Sinn machen, wenn man Einsicht in Vorbefunde und in die Vorgeschichte der Patienten hätte. Darüber hinweg wäre ein Dokumentenaustausch über ELGA möglich, als elektronische Krankenakte ist sie jedoch nicht von grossem Nutzen. 

Gibt es staatliche Richtlinien in Österreich, welche die Telemedizin regulieren?

In Österreich gibt es hierzu keine allgemein gültigen Standards. Jedoch gibt es sehr viel Technisches, das schriftlich festgehalten ist (Datenschutz, Kommunikation, etc.). Vielerorts wurde kolportiert, dass die Telemedizin in Österreich verboten war und ist, dies stimmt nicht. Die Telemedizin ist und war immer erlaubt, aufgrund des Ärztegesetztes, das besagt, dass die Arbeit unmittelbar am Patienten und für den Patienten geschehen muss, aber mit welchen Mitteln dies geschehen soll, ist nicht definiert.

Wo gibt es den grössten Nutzen der Telemedizin gegenüber herkömmlichen Behandlungen?

Bei chronischen Erkrankungen (Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, etc.), aber auch in der Notfallmedizin und bei momentanen Befindungsstörungen. Durch die Verbreitung von chronischen Erkrankungen aufgrund unserer Demographie ist es ein wesentlicher Faktor, wie wir uns besser gesund erhalten und die Ressourcen des Systems besser und schonender nutzen. Bei der Plattform eedoctors etwa lassen sich 90% der Anfragen telemedizinisch abklären. Weitere Anwendungsbereiche der Telemedizin sind in der Dermatologie, bei pädiatrischen Problemen, bei der integrierten Versorgung (virtuell + realmedizinisch). Auch lässt sich die Telemedizin bei der Vorbereitung vor Eingriffen (Aufklärungsgesprächen), bei der Psychotherapie, beim Wundmanagement zum Teil und alles was Nachsorge anbelangt, anwenden. Bei Krebsoperationen zum Beispiel, gibt es ein System namens eSMART. Dies ist eine onkologische Nachsorge, um rechtzeitig Veränderungen am Patienten zu erkennen und eine eventuelle Hospitalisierung zu verhindern. 

Welche Marketingmassnahme würden Sie persönlich vornehmen, um die Telemedizin voranzutreiben?

Einer der wichtigsten Massnahmen wäre es, ein Kinderbuch zu schreiben. Darin würde beschrieben werden, wie sich ein Kind verletzt und nicht sofort in die Ambulanz kommt, sondern ein Passant einen Doktor anruft und abklärt, ob es notwendig ist, dass das Kind ins Spital gebracht wird. Diese Gewohnheiten ändern sich mit der Gesellschaft. Die jüngere ist Generation sich ihrer vorhandenen Zeit stärker bewusst und technikaffiner. In einem Zeithorizont von 15 Jahren wird ein wesentlicher Teil der grundmedizinischen Angebote auch telemedizinisch genutzt werden. Viele Studien weisen darauf hin und die Akzeptanz ist da.  

Wie sieht die Zukunft der Telemedizin in Österreich aus?

Ein wesentlicher Faktor sind die regulatorischen Gegebenheiten, dass man die Telemedizin der Realmedizin gleichstellt und, dass man vernünftige Abgeltungssysteme schafft damit auch alle motiviert sind das zu nutzen, Arzt sowie Patient gleichermassen. Die Schweiz lebt das vor, dass man bei der Krankenversicherung sparen kann, wenn man Telemedizin verwendet. Der zweite wesentliche Faktor wird sich einfach zeigen, und zwar «sobald genügend Schmerz im System ist». Wenn der Zugang zur Realmedizin erschwert wird und einfach niemand da ist, oder man drei Stunden wohin fahren muss, überlegt man wie man seine Ressourcen und die der Patienten besser einteilt. Das Verhalten wird sich ändern, Medizin ist sehr stark von der Kultur und von den Gewohnheiten geprägt.

Bei Fragen oder Interesse zur Medtech-, oder Telemedizinbranche in Österreich können Sie sich jederzeit bei uns unter wien.sbhaustria@eda.admin.ch melden.

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