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"Digitale Geschäftsmodelle müssen global gedacht werden"

Die Ifolor AG aus Kreuzlingen hat seit 2000 ihr Geschäftsmodell komplett umgekrempelt. CEO Filip Schwarz sieht darin den Schlüssel zum internationalen Erfolg seines KMU aus Kreuzlingen mit Standorten in Deutschland und Finnland. Seine Erfahrungen und Ratschläge im Interview.

Digitale Fotografie, digitales Geschäftsmodell

S-GE: Es gibt Unternehmen, die den richtigen Zeitpunkt für entscheidende Veränderungen verpassen. Weshalb hat Ifolor die neuen Herausforderungen früher als die Konkurrenz erkannt?

Filip Schwarz: Mein Vater spürte, dass sich etwas verändern wird, wusste aber nicht genau, was. Er nahm dann den Denkansatz „lösungsunabhängiges Kundenproblem“ zur Hilfe und ging der Frage nach, was macht unsere Firma wirklich, für was bezahlt der Kunde wirklich? Viele Unternehmen wandten diese Methodik an. So ist Hilti, früher als Bohrmaschinenhersteller bekannt, heute ein Befestigungsunternehmen, das auf Befestigungstechnik, also Leim, fokussiert. Bei Ifolor sind es nicht Fotos per se, sondern Erinnerungen festhalten. wieder erlebbar machen und verschenken. Nach dieser Erkenntnis kam die Frage, mit welcher Technologie dieses Bedürfnis weiterhin befriedigt werden kann. Die Antwort war die digitale Fotografie, also der Wechsel vom Film und Filmentwickeln zu digitalen Produkten. An diesem lösungsunabhängigen Kundenproblem orientierten wir uns, nicht an einer Technologie. Das Geschäft ist das gleiche geblieben: das Festhalten und Wiedererlebbarmachen von Erinnerungen, von emotionalen Momenten.

Wie haben Sie den Wechsel geschafft?

Indem wir das neue und das alte Geschäft organisatorisch trennten. Wenn in einer Firma neue Ideen aufkommen, besteht die Tendenz, die besten, bewährtesten Fachleute darauf anzusetzen. Diese werden allerdings zum Schluss kommen, dass sich das Neue nicht eigne und nie Erfolg haben werde. Auf unser Geschäft bezogen ist beizufügen, dass die Qualität der ersten digitalen Fotos tatsächlich wenig berauschend war. Als man diese Fotos dem damaligen Entwicklungschef vorlegte, meinte er, dass sich dieser Schrott nie durchsetzen werde. Und weil in vielen Firmen Urteile von altgedienten Leistungsträgern viel zählen, werden viele Entwicklungen schon ganz zu Beginn blockiert. Deshalb kamen wir zum Schluss, das alte vom neuen Geschäft zu trennen. Das alte Geschäft wollten wir bestmöglich weiterführen, so lange noch Nachfrage bestand. Für das neue Geschäft suchten wir neue Leute, die davon begeistert und bereit waren, es mit allem Elan aufzubauen. Irgendwann kam dann der Moment, wo Mitarbeitende vom alten ins neue Geschäft wechseln oder sich neu orientieren mussten.  

Wie hat der Wechsel zur Digitalisierung die Strukturen in Ihrem Unternehmen verändert?

Wir sind ein komplett anderes Unternehmen geworden. Früher haben wir Filme entwickelt, heute entwickeln wir Software. So lässt sich der Unterschied am besten umschreiben. Marketing und Entwicklung haben wir massiv ausgebaut. Inzwischen arbeitet über 10% der Belegschaft von Ifolor in der IT, noch mehr Angestellte sind im Marketing tätig. Die Schweizer Belegschaft ist von 110 auf rund 180 angewachsen, weltweit sind es 280.

Hat der Wechsel von analog zu digital das Ertragsmodell Ihres Unternehmens verändert?

Mit dem neuen digitalen Geschäftsmodell, dem Online-Shop, lassen sich deutlich höhere Skaleneffekte realisieren als mit den physischen Produkten. Fakt ist, dass wir durch die Digitalisierung deutlich erfolgreicher geworden sind. Betreffend weiterer Entwicklung werden wir sicher genau ausloten müssen, wo zukünftig unser Platz neben iPhone oder iMac sein wird.

Zur Internationalisierung: Hat der Umbau des Geschäftsmodells die Internationalisierung von Ifolor vorangetrieben oder die Internationalisierung den Umbau des Geschäftsmodells?

Ersteres, der Umbau unseres Geschäfts hat klar die Internationalisierung vorangetrieben. Wenn man wie wir im B2C-Geschäft ist, spielt die Marke eine zentrale Rolle. Ist sie nicht bekannt, wird es extrem schwierig. Deshalb entschieden wir uns, in Ländern Zukäufe zu tätigen, um von Beginn weg als Basis für den Aufbau eine gewisse Markenstärke und einen Kundenstamm zu haben. In einem neuen Markt muss man in relativ kurzer Zeit mindestens 15% Marktanteil erreichen. Untersuchungen belegen, dass beim Eintreffen der erwähnten Substitutionen, also neuer Trends, immer nur maximal sieben Marktteilnehmer überleben. Sieht man keine Chance, die 15% zu erreichen, sollte man das Projekt besser stoppen.

Haben Sie aufgrund solcher Überlegung Märkte wie Deutschland oder Finnland evaluiert?

Ja, wir haben analysiert, welche Marktanteile realistischerweise erreichbar sind. Und wir werden dieses Kriterium auch zukünftig bei der Auswahl neuer Märkte berücksichtigen.

Wie unterscheiden sich die verschiedenen Märkte bezüglich Nachfrage?

Da beobachten wir in der Tat unterschiedliche Dynamiken. In Skandinavien ist das Foto als Einzelprodukt noch deutlich gefragter als beispielsweise im deutschsprachigen Raum. Dagegen ist das Bestellen via Mobiltelefon in Skandinavien verbreiteter als bei uns. Schaut man auf die Ertragssituation, ist die Steuerbelastung in den Märkten relevant: So haben wir in der Schweiz auf Büchern eine Sondersteuer von 2,3%, in Deutschland dagegen ab 2017 eine Mehrwertsteuer von 19%. Das sind riesige Unterschiede.

Passen Sie das Geschäftsmodell an die unterschiedlichen Bedingungen des jeweiligen Marktes an oder setzen Sie das Geschäftsmodell überall gleich um?

Wir versuchen, das Geschäftsmodell mit so wenig Anpassungen wie möglich durchzuziehen. Was die Marke, Dienstleistungen oder den Umgang mit Kunden betrifft, tolerieren wir keinerlei Abweichungen von unseren Vorgaben. Das gilt für alle unsere Märkte.

Sie haben erwähnt, dass Sie auch zukünftig neue Märkte nach der 15%-Marktanteilregel auswählen werden. Welche Märkte haben Sie im Visier?

Es gibt eine ganze Reihe interessanter Märkte. England, Frankreich, Italien oder Österreich zum Beispiel. In allen Fällen müssen wir genau schauen, ob bzw. wie wir die 15% Marktanteil erreichen. Erreicht man diese Schwelle nicht, muss man auch den Mut haben, aus dem Markt wieder auszusteigen. Wir haben das in Dänemark gemacht.

Märkte ausserhalb Europas kommen nicht in Frage?

Das würde ich so nicht sagen. Indien hat zum Beispiel einen ganz interessanten Fotobuchmarkt, wobei dort vor allem Hochzeiten im Vordergrund stehen. Oder auch China, wo Fotobücher ebenfalls sehr verbreitet sind.

Muss ein Geschäftsmodell so bewusst weiterentwickelt werden wie bei Ifolor, um international erfolgreich zu sein?

Unbedingt. Der zentrale Erfolgsfaktor sind Mitarbeitende, die das Gedankengut, die Vision im Blut haben. Diese müssen sie zwei, drei Jahre in der Zentrale in enger Zusammenarbeit mit den wichtigen Leuten erarbeitet und in sich aufgesogen haben, bevor man sie ins Ausland schicken kann. Der Key Success Factor ist die Managementfähigkeit, Leute auszuwählen, die diesen Spirit haben. Das bedingt Planung. Wir wissen ja, wie viele solcher Leute wir haben und können ausrechnen, wie viele Projekte wir anreissen können. Das gilt übrigens für jede Branche und für jede Firmengrösse.

Was raten Sie international tätigen KMU, deren Branchen noch vor dem grossen Umbruch stehen?

Die Internet-Revolution steht erst am Anfang. Ifolor macht zwar heute bereits 99,5% des Umsatzes online, wir sind aber eine Ausnahme. Viele Unternehmen stehen diesbezüglich am Anfang. Wo verkauft zum Beispiel Rolex heute Uhren? Sicher nicht online. Vielen fehlen auch die guten Leute, die wissen, wie man ein Digitalgeschäft aufbaut. Deshalb lautet meine Empfehlung an Firmen, die diesen Schritt noch machen müssen: Holt Euch frühzeitig die besten Leute. Setzt auf das Pferd Digitalverkauf, bevor das Rennen gelaufen ist. Wer vorne mitspielt, wird die Schlacht gewinnen. Und: The winner takes it all.

Ifolor

ifolor macht die schönsten Momente in personalisierten Fotoprodukten wiedererlebbar. Das Angebot des international tätigen Online-Dienstleisters umfasst hochwertige Produkte wie Fotobücher, Fotokalender, Fotogrusskarten, Wanddekorationen, Fotogeschenke und Fotos. Das 1961 gegründete Schweizer Familienunternehmen beschäftigt rund 250 Mitarbeitende und erzielt jährlich mehr als 100 Mio. Franken Umsatz. ifolor ist in zehn Ländern aktiv und Marktführer in der Schweiz sowie in Finnland. Die Qualitätsprodukte werden am Schweizer Hauptsitz in Kreuzlingen am Bodensee sowie im finnischen Kerava gefertigt. www.ifolor.ch

Filip Schwarz

Filip Schwarz leitet die Ifolor-Gruppe seit Anfang 2015. Der vorherige Chief Marketing Officer löste Helmar Hipp damit als CEO ab. Der Vater des heutigen CEO, Philipp Schwarz, präsidiert heute den Verwaltungsrat von Ifolor.

Tipps, Diskussionsstoff und Events rund um neue Geschäftsmodelle im Export

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