Herr Molinari, wie definieren Sie das Geschäftsmodell von Molinari Rail?
In einem Satz zusammengefasst: Wir hören dem Kunden zu und diskutieren mit ihm, was er in welcher Form wann braucht. Wir erarbeiten Studien und lösen komplexe Fragen in technischen, betrieblichen und betriebswirtschaftlichen Belangen. Komplexer wird es, wenn wir mehrere Dinge – Engineering, Materiallieferung, Garantieleistungen, Finanzierung etc. – miteinander verknüpfen. Wir erstellen Konzepte für Systeme, die noch konzipiert werden müssen, stellen diese her und liefern sie dem Kunden aus. Es ist also eine Kombination von Engineering-Leistung plus Fertigung, Montage und Garantie.
80 Prozent Ihres Umsatzes wird durch Exporte generiert. In welchen Märkten sind Sie aktiv und wo (noch) nicht?
Unser Kernmarkt ist Europa. In Amerika ist GE ein grosser Kunde, in erster Linie unterstützen wir sie jedoch in Projekten ausserhalb der USA. In früheren Projekten haben wir in der Schweiz oder Deutschland fabriziert und die Komponenten in die USA geliefert, wo sie dann zu kompletten Lokomotiven zusammengebaut und an Bahnbetreiber in der ganzen Welt geliefert wurden. Beim Indien-Projekt von GE liefern wir nur einen kleinen Teil in die USA, die grösste Wertschöpfung geschieht in Indien selber. Viele unsere Kunden beteiligen sich an Ausschreibungen und Projekten in andern Ländern, in denen wir uns – zum Glück – auskennen oder fähig sind, uns mit den lokalen Gegebenheiten auseinanderzusetzen. So sind wir durch einen französischen Kunden schon vor Jahren bis nach Australien gelangt – zu einer Zeit, als sich in Europa noch fast niemand um den australischen Nahverkehr gekümmert hat.
Wird es mit der Regierung Trump schwieriger, in den USA Geschäfte zu tätigen?
Der US-Bahnmarkt ist schon unter Präsident Obama protektionistischer geworden. Immer wenn Gelder des US-Bundesstaates Teil der Projektfinanzierung waren, mussten früher bereits mindestens 60 Prozent eines Produkts in den USA hergestellt werden. Nun ist der Anteil auf 70 Prozent gestiegen. Viele Zulieferer aus der Bahnindustrie sind mit diesem Thema konfrontiert. Wir selber sind nur indirekt im amerikanischen Markt aktiv. Doch wir helfen Unternehmen, sich so zu organisieren, dass die Vorgaben der US-Regierung erfüllt sind. Zum Beispiel durch Technologie-Transfer zu Produktionseinheiten in den USA, wo eine zweite, lokale Fabrikation aufgebaut wird.
Sie leben auch gut ohne die USA. Wie ist es möglich, dass Sie als mittelständisches, inhabergeführtes Schweizer Technologieunternehmen im globalen Markt wahrgenommen werden?
Zahlreiche Kunden verfolgen unsere Geschäftstätigkeit schon seit Jahren und mit vielen haben wir regelmässig Kontakt. Das ist wichtig in diesem Markt. Es ist bekannt, dass wir über grosse Erfahrung verfügen und ein zuverlässiger Partner sind. Gerade wenn es um massgeschneiderte Projekte im Engineering oder bei Subsystemen geht, können wir punkten: Auch gegen einen Konkurrenten aus Indien, der vielleicht billig ist in der Herstellung, aber nicht über das nötige Know-how und die Referenzen verfügt. Da haben wir – generell in der Schweiz – einen guten Stand. Unsere Eisenbahngeschichte ist lang und man kennt unser gut funktionierendes Eisenbahnsystem: Wir wissen also, wovon wir sprechen. Ausserdem verfügen wir über eine verlässliche Zulieferindustrie und arbeiten mit bewährten Komponenten, Systemen und mit Know-how, das sich aus Erfahrungswerten ableitet. Das wird geschätzt. Die Eisenbahnindustrie ist evolutionär und die technologische Weiterentwicklung erfolgt schrittweise und relativ langsam. Da sind Erfahrungen und sichere Werte gefragt.
Was können Sie besser als die Grossen?
Wir sind schneller, wir hören besser zu, wir gehen besser auf den Kunden ein. Wir leben davon, dass wir bis ins Detail verstehen, was der Kunde will. Und dass wir in der Lage sind, dessen Wünsche optimal und schnell umzusetzen. Ein Vorteil ist natürlich, dass wir als eigentümergeführtes Unternehmen mit flacher Führungsstruktur in der Lage sind, schnell präzise Entscheidungen zu fällen. Dies wird von unseren Kunden sehr geschätzt.
Sie sind global tätig und müssen sich den regionalen Gegebenheiten anpassen. Welches sind die grössten Herausforderungen und wie meistern Sie diese?
In manchen Ländern ist es schwierig, auf Anhieb vor Ort den richtigen Partner zu finden. In dieser Beziehung ist die Zusammenarbeit mit Switzerland Global Enterprise sehr wichtig. Wir nutzen diesen Service, wo immer es möglich ist. So haben wir in Russland, Indien und im Mittleren Osten erfolgreich zusammengearbeitet. Aber oftmals sind wir an Orten, wo S-GE nicht präsent ist. Dort, wo die Grossen nicht hingehen, haben wir die besten Chancen.
Mussten Sie schon einmal ein Exportvorhaben abbrechen?
Wir haben uns schon öfter zurückgezogen, wenn sich der Markt nicht so entwickelte, wie wir es erwartet hatten. Im Geschäftsleben braucht es eine gewisse Fehlertoleranz. Ich bin bereit, Fehler zu machen. Wäre ich nicht so, wären wir heute nicht da, wo wir sind. Ohne Risiko kommt man nirgends hin.
Das heisst, auch Ihre Mitarbeitenden dürfen Fehler machen?
Natürlich. Fehler machen an sich ist nicht das Problem, das ist menschlich. Selbst dann nicht, wenn man denselben Fehler mehrmals macht – das passiert mir auch. Entscheidend ist, dass man zu seinen Fehlern stehen kann, denn dann lassen sie sich korrigieren. Die Auswirkungen auf das Projekt und den Kunden können minimiert oder ganz vermieden werden.
Welchen Einfluss hat die Digitalisierung aufs Bahngeschäft?
Digitalisierung ist bei uns schon längst ein Thema: Fahrzielanzeigen, Fahrgastinformationen, Ticketing übers Mobiltelefon etc. Auf dem internationalen Markt wird erwartet, dass wir solche Lösungen präsentieren – während wir in der Schweiz der Entwicklung teilweise etwas hinterherhinken. Vor Jahren schon hatten Schweizer Firmen elektronische Ticketing-Lösungen entwickelt – nur wurden sie leider nicht grossflächig in der Schweiz eingeführt. Heute müssen wir aufpassen, dass wir den Fortschritt nicht verschlafen und den Anschluss nicht verpassen.
Kürzlich wurde bekannt, dass Swissrail und der Verband der Bahnindustrie in Deutschland (VDB) unter der Schirmherrschaft des Seco und des Deutschen Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) die Bahnindustrie bei einem gigantischen Projekt unterstützen: «Bioceanico»: eine Eisenbahnstrecke quer durch den südamerikanischen Kontinent, vom Atlantik zum Pazifik. Ein Thema für Sie?
Selbstverständlich! Wir sind zusammen mit einer Anzahl weiterer Schweizer KMU Teil einer Arbeitsgemeinschaft und sind zuversichtlich, dass das Projekt zustande kommt. Das wird ein nächster grosser Schritt in unserer Firmengeschichte sein.
Das heisst, dass Sie weiter wachsen werden?
Nicht unbedingt. Bis vor Kurzem wollten wir das, aber Grösse ist nicht alles. Es macht mehr Sinn, mit andern spezialisierten Firmen zusammenzuarbeiten und seine Stärken weiter zu entwickeln. Wichtig dabei ist es, verlässliche Partner zu finden und dabei hilft uns die einheimische KMU-Kultur. Wir wollen spezifische Aufgaben übernehmen, sei dies im Ingenieur- und Planungswesen sowie in den Bereichen Fahrzeugbau und -instandhaltung. Da und dort stehen bereits spannende Projekte an, die uns herausfordern werden. Und die es uns ermöglichen, bei der Entwicklung von Randregionen mitzuarbeiten – ich habe dies schon öfter erlebt und weiss: Das macht viel Sinn und macht Freude!
Über Molinari Rail
Das Technologieunternehmen mit Sitz in Winterthur und Tochtergesellschaften in Deutschland und Österreich ist spezialisiert auf Eisenbahnsysteme und unterstützt seine Kunden weltweit in der Umsetzung von Projekten im Personen- und Güterverkehr. Die Spezialisten arbeiten interdisziplinär an der Entwicklung von Schienenfahrzeugen und Subsystemen sowie an kompletten Bahnsystemen. Dank grossem Know-how und strategischen Partnerschaften mit Kunden und Partnern gelingt es Molinari Rail, im globalen Wettbewerb zu bestehen und das grosse Potenzial im Ausbau der Bahninfrastruktur sowie der Verlagerung von Gütertransporten auf die Schiene anzuzapfen. In Winterthur werden 30 Personen, weltweit 150 Mitarbeitende beschäftigt.
Über Michele Molinari
Der gelernte Maschinenmechaniker studierte Elektrotechnik am Technikum Winterthur und schloss ein Zusatzstudium als Master of Sience in Verkehr an der Nottingham Trent University in England ab. Von 1990 bis 1994 arbeitete er bei Elektrowatt Ingenieurunternehmung AG in Zürich und gründete 1994 Molinari Rail. Er ist 53-jährig, verheiratet und Vater einer Tochter und eines Sohns. Seine Hobbys sind Segel- und Motorfliegen, Reisen, Lesen, und er interessiert sich für alles, was mit Mobilität zu tun hat.