Exportwissen

Öffentliches Beschaffungswesen in Vietnam

Was Schweizer Unternehmen wissen müssen

Vietnam gehört zu den Ländern mit den höchsten öffentlichen Investitionen im Verhältnis zum BIP weltweit. Das öffentliche Beschaffungswesen stellt daher für Schweizer Unternehmen einen potenziellen Geschäftsbereich für den Verkauf ihrer Produkte und Dienstleistungen auf dem vietnamesischen Markt dar.

Öffentliches Beschaffungswesen

Der Staat ist in Vietnam der grösste Einkäufer von Waren und Dienstleistungen. Aus der Statistik geht hervor, dass Vietnam eines der Länder mit der höchsten öffentlichen Investitionsquote weltweit ist. Seit 1995 lag die Quote jedes Jahr bei über 39 %. Ein Grossteil der Investitionen floss dabei in Infrastrukturprojekte. Letztes Jahr (2019) machten die öffentlichen Investitionen in Höhe von 26,45 Milliarden US-Dollar 35,7 % der Gesamtinvestitionen aus. Dazu hat auch das Beschaffungswesen der Provinz- und Kommunalregierungen sowie staatseigener Unternehmen beigetragen.

Infrastruktur hat höchste Priorität

Neben Zuteilungen aus dem Staatshaushalt ist Vietnam auch Empfänger erheblicher Gelder im Rahmen der öffentlichen Entwicklungshilfe (APD), die von internationalen Finanzinstitutionen (IFI) wie der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB), der Weltbankgruppe (WBG) und Geberländern stammen. Infrastruktur hat für die APD eine hohe Priorität. Andere wichtige Sektoren sind Transport, Telekommunikation, Energie, Umwelt/Wasser, Zivilluftfahrt, Bildung und Finanzdienstleistungen.

Nach der Unterzeichnung und dem Inkrafttreten zweier wichtiger Freihandelsabkommen (mit der EU und das CPTPP) arbeitet das vietnamesische Ministerium für Planung und Investitionen an der Erarbeitung eines Leitfadens zur Umsetzung des internationalen Ausschreibungsvertrags, der im November 2019 der Regierung vorgelegt werden soll. Dies gilt als ein Wendepunkt in der Geschichte des öffentlichen Beschaffungswesens seit Langem.

Besonderheiten

Die öffentliche Beschaffung erfolgt in Vietnam normalerweise über Ausschreibungen. Derzeit haben Ministerien und Behörden unterschiedliche Vorschriften zum Mindestwert, ab dem für den Kauf von Materialien oder Ausrüstung eine Ausschreibung erforderlich ist. Wichtige Verträge mit hohen Werten wie im Bereich Infrastruktur erfordern eine Bewertung und Auswahl der Angebote. Der Zuschlag wird vom Büro des Premierministers oder einer anderen zuständigen Stelle erteilt.

Im Allgemeinen gibt es zwei Modelle der öffentlichen Beschaffung, die in Vietnam parallel angewandt werden:

1. Dezentralisierte Beschaffung (derzeit das beliebteste Modell): Bei diesem Modell führen die Behörden, Organisationen und Referate, die Endnutzer der Güter sind, die Beschaffung selbst durch.

2. Zentralisierte Beschaffung: Bei der zentralisierten Beschaffung gibt es ein zentrales Beschaffungsreferat auf nationaler Ebene und ein zentrales Beschaffungsreferat auf Minister-, Sektor- oder Kommunalebene.  Alle Beschaffungen des Finanzministeriums und des Gesundheitsministeriums werden zum Beispiel durch das zentrale Beschaffungsreferat des jeweiligen Ministeriums durchgeführt. Die zentralen Beschaffungsreferate sammeln die Beschaffungsbedürfnisse der Abteilungen und Organisationen ihrer jeweiligen Ministerien, nehmen die Auswahl der Anbieter vor und schliessen direkt mit den ausgewählten Anbietern Verträge über die Lieferung von Waren oder Erbringung von Dienstleistungen.

Die über Darlehen und Zuschüsse im Rahmen der APD finanzierten Beschaffungen der Regierung unterliegen in der Regel den Ausschreibungsvorschriften der jeweiligen Geber im Einklang mit den zwischen der vietnamesischen Regierung und den Gebern geschlossenen Darlehensverträgen.

Die Beschaffung im Rahmen von öffentlichen Investitionsprojekten wird (gemäss Artikel 6 des Gesetzes über öffentliche Investitionen) in Projekte der Gruppe A, der Gruppe B und der Gruppe C eingestuft. Zu den Einstufungskriterien gehören Dringlichkeit/Wichtigkeit, Bereich/Ort, Sektor, Investitionskomponenten und Kapitalbedarf.

Die staatlichen Beschaffungspraktiken können als mehrschichtiger Entscheidungsprozess charakterisiert werden, in dem es trotz einiger Verbesserungen in der jüngsten Vergangenheit oft an Transparenz und Effizienz mangelt.

Gesetzgebung

Das öffentliche Beschaffungswesen ist in Vietnam durch folgende Gesetze und Vorschriften geregelt:

  • Gesetz über Ausschreibungen Nr. 43/2013/QH13 der Nationalversammlung vom 26. November 2013;
  • Dekret Nr. 63/2014/ND-CP der Regierung vom 26. Juni 2014 zur Umsetzung des Gesetzes über Ausschreibungen;
  • Gesetz über öffentliche Investitionen Nr. 49/2014/QH13 der Nationalversammlung vom 18. Juni 2014;
  • Dekret Nr. 15/2015/ND-CP der Regierung vom 14. Februar 2015 zu Investitionen von öffentlich-privaten Partnerschaften.

Informationsquellen zu öffentlichen Ausschreibungen

Ausschreibungen werden normalerweise offiziell in den vietnamesischsprachigen Zeitungen wie Dau Thau, Nhan Dan, Lao Dong und Saigon Giai Phong und in den englischsprachigen Zeitungen Vietnam News und Vietnam Investment Review angekündigt.

Schweizer Unternehmen können auch über folgende Websites eine konsolidierte Liste von staatlichen und privaten Ausschreibungen in Vietnam erhalten:

Englische Websites von Dienstleistungsunternehmen wie Itellasia und Euclid (Anmeldung erforderlich)

Für von IFI wie ADB, der Weltbankgruppe (das Staatssekretariat für Wirtschaft ist auch in bestimmten Projekten über seine Partnerschaft mit diesen IFI beteiligt) finanzierte Projekte können Schweizer Unternehmen auch über folgende Websites Informationen zu Projekten und Ausschreibungen erhalten:

Ausschreibungsverfahren im öffentlichen Beschaffungswesen in Vietnam

Das Verfahren kann sich je nach den spezifischen Formen und Methoden der Ausschreibung und den Inhalten eines Ausschreibungspakets unterscheiden. Das grundlegende Ausschreibungsverfahren kann nach den Ausschreibungsvorschriften wie folgt zusammengefasst werden:

  • Planung: Im Ausschreibungsplan werden die Namen der Ausschreibungspakete innerhalb eines bestimmten Projekts aufgeführt. Ausserdem enthält er Informationen zu Budget, Finanzierungsquellen, Ausschreibungsmethode, Zeitplan, Vertragsart und Zeitplan für die Vertragserfüllung für jedes Ausschreibungspaket. Der Ausschreibungsplan muss von der „bevollmächtigten Person“ genehmigt werden, die per Definition im Ausschreibungsgesetz die Person ist, die zur Entscheidung über das Ausschreibungsprojekt berechtigt ist.
  • Einladung: Die Ausschreibungsunterlagen müssen nach den vorgeschriebenen Regeln erstellt und von einer bevollmächtigten Person genehmigt werden. Die Ausschreibung muss mindestens 10 Tage vor der Aushändigung der Ausschreibungsunterlagen publik gemacht werden.
  • Erstellung von Angeboten: Die Bieter haben mindestens 15 Tage (bei inländischen Ausschreibungen) bzw. 30 Tage (bei internationalen Ausschreibungen) Zeit, um ihre Angebote zu erstellen und einzureichen. Diese Frist wird «bid closing time» genannt. Vor Ablauf dieser Frist müssen Bieter ggf. auch je nach Ausschreibung eine Ausschreibungsgarantie vorlegen.
  • Angebotseröffnung: Die eingereichten Angebote müssen umgehend nach Ablauf der bid closing time geöffnet werden, und zwar an dem in den Ausschreibungsunterlagen genannten Tag und an dem darin genannten Ort. In diesem Schritt werden die wichtigsten Informationen eines jeden Angebots offengelegt.
  • Angebotsbewertung: Die Beschaffungsstelle sichtet die eröffneten Angebote und bewertet diese anhand der in den Ausschreibungsunterlagen dargelegten Anforderungen und den Bewertungskriterien. In diesem Schritt nehmen die Bewerter auf der Grundlage des Angebotspreises der Bieter die erforderlichen Korrekturen und Anpassungen vor, um den «Bewertungspreis» der Angebote zu bestimmen. Der Bewertungspreis ist nach dem Ausschreibungsgesetz der von einem Anbieter vorgeschlagene Angebotspreis nach Fehlerkorrektur und notwendigen Kosten für Betrieb und Erhaltung. Das Angebot mit dem niedrigsten «Bewertungspreis» erhält den ersten Platz.
  • Auftragsvergabe: Das Ergebnis muss von der bevollmächtigten Person genehmigt und dann verkündet werden (z. B. Bieter, der den Zuschlag erhält, Preis des erfolgreichen Bieters, Art des Vertrags etc.). Der Vertrag wird aufgesetzt und zwischen der Beschaffungsstelle und dem Bieter, der den Zuschlag erhalten hat, geschlossen. Können sich die Parteien nicht auf einen Vertrag einigen, lädt die Beschaffungsstelle den nächstplatzierten Bieter zu Vertragsverhandlungen ein.

Wie man den Zuschlag für einen öffentlichen Auftrag in Vietnam erhält

Um den Zuschlag für staatliche Aufträge zu erhalten, ist über einen längeren Zeitraum ein hohes Engagement und ein hohes Mass an Kommunikation zwischen dem ausländischen Anbieter, dem Vertriebshändler bzw. Vertreter vor Ort und den zuständigen staatlichen Stellen wichtig. Die Kontaktaufnahme sollte bereits im Stadium der Projektplanung beginnen.

Unternehmen müssen Beziehungen und Glaubwürdigkeit aufbauen und die Beschaffungsstelle über die Vorteile des Produkts bzw. der Dienstleistung informieren sowie darüber, wie sie die Ziele des Projektes erreichen wollen. Ausserdem sollten sie den Projektinhaber dabei unterstützen, die bestmögliche Leistung zu erzielen, und dies lange bevor die Ausschreibung öffentlich bekannt gemacht wird. Es hat sich gezeigt, dass neben fachlichen und preislichen Faktoren Beharrlichkeit und Geduld bei der Kontaktaufnahme und der Kommunikation mit der Beschaffungsstelle für einen Erfolg essenziell sind.

Auch nach Erteilung des Zuschlags können Verhandlungen über den Preis, Spezifikationen, Zahlungsbedingungen und Sicherheiten einige Zeit in Anspruch nehmen.

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