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Die Schweiz ist für IBM eine interessante Spielwiese für die Entwicklung künstlicher Intelligenz

Der diesjährige Swiss Biotech Report der Swiss Biotech Association spricht von einem neuen Jahrzehnt – einem Jahrzehnt, in welchem sich die Schweiz auf ein umfassendes Life-Science-Ökosystem stützen kann und Biotech-Unternehmen florieren können. Axel Nemetz, Leiter von IBM Life Sciences Schweiz, spricht mit Switzerland Global Enterprise über KI in Life Sciences und erklärt, warum die Schweiz dafür der richtige Ort ist.

IBM Schweiz
IBM Research GmbH in Rüschlikon, Schweiz

IBM ist ein langjähriger und wichtiger ausländischer Investor in der Schweiz. Was macht die Schweiz zu einem guten Standort für die Gründung eines Forschungszentrums?

Die Schweizer Niederlassung von IBM wurde 1927 gegründet, und unser Forschungslabor wurde 1956 bei Zürich eingerichtet. Das stabile Geschäftsumfeld, das hohe Bildungsniveau, die globale Anziehungskraft für Talente sowie die zentrale Lage in Europa machten die Schweiz zur ersten Wahl für ein Forschungslabor ausserhalb der USA.

Heute führt IBM 19 Forschungseinrichtungen weltweit, doch kein anderes IBM-Labor kann so viele Nobelpreisträger vorweisen wie unsere Anlage in Rüschlikon. Georg Bednorz, Gerd Binnig, Karl Alexander Müller und Heinrich Rohrer erhielten für ihre Arbeit am Rastertunnelmikroskop bei IBM den Nobelpreis. Dieses Mikroskop kann Bilder einzelner Atome erzeugen und für die Hochtemperatursupraleitung, welche das Potenzial besserer Nutzung von Energie trägt, eingesetzt werden. Die starke Infrastruktur und eine Reihe anderer Vorteile der Schweiz haben natürlich dazu beigetragen, dass diese Erfolge möglich wurden.

Welchen Mehrwert bietet die Schweiz IBM in Bezug auf den Standort für aufkommende Technologien?

Unser Labor in Rüschlikon hat nicht nur vier Nobelpreisträger hervorgebracht, sondern trat auch als Gastgeber für die globale Koordination unserer Forschungsaktivitäten in den Bereichen Sicherheit, Blockchain und Internet der Dinge auf. Ausserdem arbeiten wir eng mit renommierten Universitäten wie der ETH und der EPFL zusammen.

Die Schweiz ist für uns besonders interessant, da sie es uns ermöglicht, eng mit Konzernzentralen global führender Unternehmen zusammenzuarbeiten, welche sowohl aus dem Bereich Biopharma und aus dem Bank- und Versicherungswesen als auch aus der Montagetechnik und dem Bereich Ernährung stammen. Das bietet eine interessante Spielwiese für die Entwicklung neuer Technologien gemeinsam mit unseren Kunden und in enger Zusammenarbeit mit Bildungseinrichtungen.

Welche Trends können Sie in der Schweiz in Bezug auf KI und Life Sciences erkennen?

Die Gesetzgebung und die vernunftbasierten Verwaltungsverfahren der Schweiz ermöglichen eine rasche Einrichtung von Modellversuchen mit neuen Technologien. Als ein Beispiel wäre hier die App «Medgate» zu nennen. Dabei handelt es sich um einen «Doktor in der App», welcher «Telekonsultationen» anbietet.

Medgate wurde hier in der Schweiz entwickelt und ist heute ein weltweit bekannter führender Anbieter digitaler Ferngesundheitsdienstleistungen.

Die örtliche Nähe zu Innovatoren wie Medgate ermöglicht es uns, rascher neue Technologien zu entwickeln. Medgate und IBM haben gemeinsam einen Algorithmus auf Basis von vergrösserter Intelligenz entwickelt, um medizinisch kritische Situationen aus der Ferne identifizieren zu können.

Insgesamt stellt der Einsatz für den Zugang zu qualitativ hochwertiger Gesundheitsversorgung den grössten von uns beobachteten Trend im Bereich Life Sciences und Gesundheitswesen in der Schweiz dar. Dabei handelt es sich um einen globalen Trend, bei welchem häufig die Vorteile neuer Technologien wie KI, Blockchain und Robotik zum Einsatz kommen; hier unterscheidet sich die Entwicklung in der Schweiz nicht von der Entwicklung in anderen Ländern. Wir sind der Ansicht, dass dies eine der wichtigsten Triebkräfte der Veränderung und möglicherweise auch für technologiegetriebene Umwälzungen im Gesundheitswesen ist.

Grosse Technologieunternehmen wie IBM oder auch Alphabet, Apple, Samsung und Amazon drängen in den Sektor Gesundheitswesen, während traditionelle Pharmafirmen wie Novartis und Roche ihre Technologie-Kapazitäten ausbauen. Im digitalen Zeitalter verschwimmen die Grenzen zwischen den Branchen. Sehen Sie sich selbst als umwälzende Kraft im Gesundheitssektor?

Wir sehen uns selbst als Wegbereiter. Natürlich kann der Einsatz unserer Technologie Umwälzungen zur Folge haben. Da IBM sich jedoch auf B2B-Beziehungen konzentriert, gehen mögliche Umwälzungen eher von unseren Kunden aus. Darüber hinaus sind massive Umwälzungen häufig das Ergebnis einer Zusammenarbeit verschiedener Interessengruppen.

Im Bereich Gesundheitswesen und Life Sciences sehen wir in Bezug auf diese Zusammenarbeit unterschiedlicher Interessengruppen, welche häufig von den Kostenträgern initiiert wird, gegenwärtig nur erste Modelle. Zum Beispiel die «Techniker Krankenkasse (TK)», ein Portal elektronischer Krankenakten in Deutschland. TK hat dieses Modell initiiert, um Patienten bei einem medizinischen Notfall oder beim Besuch neuer Gesundheitsdienstleister einen rascheren Zugang zu ihren Krankenakten zu ermöglichen.

Dieser Ansatz von TK wurde von Patienten rasch angenommen. Heute, ein Jahr nach seiner Einführung, umfasst das System bereits viele Anbieter, welche ihre Daten automatisch auf das Portal hochladen. Derartige Geschichten können zum Auslöser echter Umwälzungen im Gesundheitswesen werden.

Können Sie uns etwas über die laufenden Projekte von IBM und die Anwendungsfälle in der Biotechnologie erzählen?

Wir arbeiten alleine oder zusammen mit Partnern unter anderem an Preismodellierung, therapiebegleitender Diagnostik, klinischem Protokolldesign und Trial-Matching, um nur einige Beispiele zu nennen.

Schwierigkeiten bei der Personalbeschaffung und Protokolländerungen können zu Verzögerungen bei Studien und zu Ausfällen führen. Diese Probleme können häufig auf den Aufbau der Studie zurückgeführt werden. IBM Study Advance kann dabei helfen, diese Probleme zu überwinden, und ist darauf ausgelegt, den Protokoll-Entwicklungsprozess zu optimieren, indem sowohl durch Daten gewährte Einblicke für die Entscheidungsfindung als auch eine Kooperationsplattform für die Effizienzsteigerung herangezogen werden.

Klinisches Trial-Matching kann die langen Entwicklungszeiten für Medikamente verkürzen. Wir haben auch ein Werkzeug entwickelt, mit welchem sich die von Ärzten durchgeführte Suche nach einer Liste klinischer Studien für den jeweiligen Patienten optimieren lässt.

In Bezug auf die Preismodellierung haben wir intelligente Algorithmen entwickelt, welche es Pharma- und Biotech-Unternehmen ermöglichen, die Auswirkungen neuer Produkteinführungen oder den Verlust von Exklusivität zu modellieren.

Schliesslich möchte ich auch noch die therapiebegleitende Diagnostik erwähnen. Zum Beispiel arbeiten wir im Bereich Diabetes eng mit Unternehmen im Bereich Pharmazie, Biotechnik und Diagnostik zusammen, um die Auswirkungen von Insulindosierung auf den Blutzuckerspiegel von Patienten besser vorhersagen zu können, mittelfristige Komplikationen zu verringern und die Lebensqualität der Patienten zu verbessern.

Auf welche Bereiche konzentriert sich IBM bei den Anwendungen künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen, und warum wurden diese Bereiche gewählt?

Das Umfeld im Gesundheitswesen ist komplex, nicht nur aufgrund der Komplexität der Erkrankungen und Behandlungen, sondern auch wegen der Notwendigkeit gut abgestimmter Koordination zwischen vielen Beteiligten in einem stark regulierten Umfeld.

Wenn wir KI in drei Phasen teilen – enge KI, breite KI und revolutionäre KI –, befinden wir uns gegenwärtig in der Phase der engen künstlichen Intelligenz. Das bedeutet, dass wir uns auf die vielversprechendsten Bereiche konzentrieren, in welchen nur wenige Akteure beteiligt sind.

Ein Beispiel hierfür wäre unsere Zusammenarbeit in Bereich der medizinischen Bildgebung mit dem französischen Unternehmen Guerbet, welches eine Tochtergesellschaft in Zürich hat. Dabei unterstützen wir die Diagnostik und Betreuung von Leberkrebs mithilfe von MRI und CT-Verfahren. Ein weiteres Beispiel ist unsere Zusammenarbeit mit dem in den USA beheimateten Unternehmen Medtronic, wessen europäischer Hauptsitz sich in Waadt befindet. Gemeinsam versuchen wir, mithilfe unserer Cognitive Computing-Instrumente das Leben mit Diabetes zu verbessern.

Schliesslich beschäftigen wir uns auch mit Ethik in der künstlichen Intelligenz, um u. a. Fragen in Bezug auf Verantwortlichkeit, Wertausrichtung, «Erklärbarkeit», Fairness und Nutzerdatenrechte zu beantworten.

Sprechen wir über die Gesundheitsplattform IBM Watson: Wie schätzen Sie die Zukunft dieses Geschäftsbereichs ein, und plant IBM die Entwicklung anderer KI-gestützter Systeme für andere Felder wie die sogenannten «omics», Proteomik, Metabolomik und Transkriptomik?

Ja, wir arbeiten zusammen mit dem Universitätsspital Genf, welches unsere Lösung IBM Watson for Genomics® für eine personalisierte Onkologiebehandlungeinsetzt. In diesem Zusammenhang möchte ich eine Herausforderung erwähnen, vor der wir noch stehen: der noch nicht ausreichend automatisierte Austausch manchmal anonymisierter oder «pseudonymisierter» Daten zwischen den Anbietern und mit den Kostenträgern oder Patienten.

Hierbei handelt es sich um eine wichtige Herausforderung, welche wir mit unserer Open Health-Plattform behandeln wollen. Diese Plattform ermöglicht unterschiedlichen Akteuren der Branche, Daten in einem regulierten und sicheren Umfeld zu speichern, auszutauschen und mit ihnen zu arbeiten. Das ist für uns ein weiterer erforderlicher Schritt, bevor wir uns im Bereich Gesundheitswesen von enger oder breiter KI hin zu revolutionärer KI bewegen können.

Auf Grundlage der Erfahrung von IBM, wie fortschrittlich ist der Einsatz von Daten aus der echten Welt (Real World Data, RWD) in der Medizin, und welche Rolle spielt IBM bei der Arbeit mit RWD?

Hierbei handelt es sich um einen Bereich mit sehr hoher Nachfrage. Pharma- und Biotech-Unternehmen sind sehr interessiert daran, Patientenpfade besser zu verstehen, da dies zu Innovationen auf Basis von RWD führen kann. Andere Beispiele umfassen die Nutzung von Daten aus klinischen Studien mit RWD-Daten, um rascher Entscheidungen treffen zu können. Ich möchte hierzu ein Beispiel nennen: Eine Studie, die im vergangenen Jahr gemeinsam von Roche und IBM in Nature Medicine (Vol 25, Januar 2019, 57-59) veröffentlicht wurde. Diese Studie untersucht die Prognose der frühen Risiken einer chronischen Nierenerkrankung bei Patienten mit Diabetes unter Berücksichtigung von Daten aus der echten Welt.

Dieses Interview wurde von Sirpa Tsimal, Director of Investment Promotion S-GE,  geführt und ursprünglich im Swiss Biotech Report 2020 «AI in Life Sciences: Role of the outside disruptor» veröffentlicht.

Swiss Biotech Industry

Die Schweiz ist einer der besten und innovativsten Standorte für Biotechnologie in Europa. Lokale Unternehmen sind in vielen Sektoren führend und ziehen so Kapital und Forschung aus der ganzen Welt an.
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