Exportwissen

Neuordnung der Handelsströme

Wie Schweizer KMU erfolgreich in internationalen Märkten navigieren

Interview mit Jan Atteslander, Leiter Aussenwirtschaft, economiesuisse, über Herausforderungen und Chancen für Schweizer KMU auf komplexen internationalen Märkten

Jan Atteslander

«Neuordnung der Handelsströme» lautet das Thema des diesjährigen Aussenwirtschaftsforum, das am 26. April 2023 in Lausanne stattfinden wird. Gibt es nicht dringendere Fragen für Schweizer KMU, sollen sich diese jetzt wirklich mit Geopolitik beschäftigen?

Schweizer KMU sehen sich tatsächlich mit grossen Herausforderungen wie zum Beispiel mit der aktuellen Konjunkturentwicklung, den Lieferengpässen oder der Entwicklung der Marktstrukturen in ihren Absatzgebieten konfrontiert. Aber alle diese Themen hängen mehr oder weniger direkt mit geopolitischen Entwicklungen zusammen. Aus den vielen Gesprächen mit Unternehmerinnen und Unternehmern, die ich in den vergangenen Monaten führen durfte, weiss ich, dass sich durchaus auch KMU sehr stark mit diesem Thema auseinandersetzen.

Man hört viel über Schwierigkeiten im Zusammenhang mit unterbrochenen Handelsströmen. Gibt es in der aktuellen Situation auch Gewinner?

Kriege sind schlecht fürs Geschäft. In solchen Situationen gewinnt niemand. Denken wir an Russlands Angriffskrieg: Die mit der Krise verbundenen Engpässe auf den Energiemärkten oder den Märkten für Agrarrohstoffe haben einen globalen negativen Effekt auf die Weltwirtschaft. Deshalb ist es im Hinblick auf unruhige Zeiten wichtig, Liefer- und Versorgungsketten resilient auszugestalten. Das hat bis jetzt trotz grosser Stockungen relativ gut geklappt.

Wenn man auf die letzten drei Jahre zurückblickt, hat sich die Weltwirtschaft recht resilient gezeigt.

Wie beurteilen Sie die Entwicklungen des Welthandels in diesem Jahr?

Momentan haben wir Unsicherheit struktureller Art, aber auch konjunktureller Art. Alles trifft zusammen: Schocks, Krieg, geopolitische Spannungen, Inflation, unsichere Konjunkturentwicklungen. Das ist sehr selten.

Ich habe den Eindruck, dass die Ökonomen verunsichert sind. 2023 könnte, wenn man den Experten Glauben schenkt, konjunkturell ein schwieriges Jahr werden. Der Welthandel wächst noch etwa 1%, die Eurozone 0.5%, die USA 1%. Ich hoffe, im Frühling mehr zu wissen, ob diese dämpfenden Prognosen eintreffen oder wir schneller aus dem Wellental herauskommen.

Es gibt aber auch Märkte mit besseren Aussichten: Asien, der Mittlere Osten und Afrika werden gemäss diesen Prognosen stärker wachsen.

Kommt es in der Wirtschaft jetzt zu einem neuen Blockdenken?

Ja und nein: Aufgrund der geopolitischen Entwicklungen wird in Asien versucht – zumindest seitens Chinas –, etwas hegemonialer aufzutreten. Gleichzeitig wurde der Handel dort durch zwei Megaabkommen liberalisiert. Auch die ASEAN-Staaten sind daran, die Zusammenarbeit auszubauen. In Afrika ist eine grosse Freihandelszone am Entstehen. Es ist äusserst positiv zu werten, dass in diesen Regionen Barrieren abgebaut werden.

Gleichzeitig – und das macht mir grösste Sorgen – haben wir eine Verschlechterung auf der multilateralen Ebene: Die WTO ist geschwächt. In den letzten zwei Jahrzehnten konnte man keine grossen WTO-Runden mehr abschliessen, obwohl multilaterale Liberalisierungen für alle am besten wirken. Andererseits war es schon immer so, dass es sowohl die globalen Handelsströme gab als auch die regionalen, die in der Regel stärker und dynamischer waren. Eine wichtige Aufgabe ist es nun, dass die Weltwirtschaft in den nächsten 10 bis 15 Jahren nicht in 3 bis 4 grosse Blöcke zerfällt. Das wäre für alle Beteiligten schlecht.

Wie ergeht es in der aktuellen Lage den Schweizer KMU?

KMU sind stark von handelshemmenden staatlichen Interventionen betroffen, denn sie sind auf den grenzüberschreitenden Marktzugang angewiesen. Deshalb ist es wichtig, dass nicht laufend Bedingungen geändert und erschwert werden. Ein Grossteil der staatlichen Massnahmen, die handelsverzerrend wirken, sind Exportsubventionen. Für KMU ist es schwierig, in Märkten zu bestehen und sich entwickeln zu können, wenn Mitbewerber teilweise staatlich subventioniert sind.

Aber viele Schweizer Firmen sind im Export erfolgreich. Welche Gründe hat dies?

Fast alle Firmen, die im Export aktiv sind, haben Topprodukte. Sie schauen, dass sie bei den Innovationszyklen führend bleiben.

Es gibt es viele Anzeichen, dass sich KMU sehr gut behaupten. Viele KMU sind Nischenplayer, wo es auf den Weltmärkten nur einen bis zwei Mitbewerber gibt. Diese Global Champions haben gute Aussichten.

Die Schweizer KMU jammern nicht, die packen an und machen, was nötig ist.

Kann Re-shoring und Near-shoring eine Lösung für KMU sein, um der komplexeren geopolitischen Situation auszuweichen?

Aus Ressourcengründen internationalisieren sich KMU zuerst in der Regel in den Nachbarregionen, im Falle der Schweiz in Europa. In einer zweiten Phase suchen sie, je nach Technologie oder Branche, weitere Märkte in Amerika und Asien.  

Aber es gibt Branchen, wo das nicht gilt. Als erfolgreicher Nischenplayer mit einzigartigen Technologien kann und muss man relativ schnell in die Märkte Asiens oder nach Amerika liefern, um sich entwickeln zu können. Für KMU ist das sehr anspruchsvoll, weil zum Beispiel der Aufbau einer eigenen Niederlassung in Asien von den Managementressourcen und dem Kapital her aufwändig ist.

Wie kann die Schweizer Regierung die KMU weiter unterstützen?

Es gibt verschiedene Instrumente. Es geht um die Rahmenbedingen. Eine administrative Entlastung für Tausende KMU ist etwa die Aufhebung der Importzölle auf Industriegüter per 1. Januar 2024. Weiter sind Freihandelsabkommen äusserst wertvoll und bieten einen zusätzlichen Schutz gegen protektionistische Massnahmen. Unser Netz an Freihandelsabkommen muss man pflegen mit der Revision bestehender und dem Abschluss neuer Abkommen. Ich denke hier etwa an den südamerikanischen Markt mit Mercosur, USA oder Indien.

Die Innenfront ist ebenfalls wichtig: die Absicherung der makroökonomischen Stabilität, Export- und Tourismusförderung oder Massnahmen gegen Fachkräftemangel. Ausserdem ist der Innovationsstandort zentral für KMU, weil sie auf die Innovationskraft des Schweizer Wirtschaftsstandorts angewiesen sind.

Das vollständige Thema des Aussenwirtschaftsforums lautet: «Neuordnung der Handelsströme: Chaos oder Chance». Das Chaos konnten wir alle verfolgen, wie sieht es mit den Chancen aus?

Ich sehe zwei bis drei Ebenen: Die eine sind vertikale oder horizontale Integrationsprojekte. Horizontal kann man etwas aufkaufen, Joint Ventures eingehen oder Teams in die eigene Firma holen. Vertikal kann man in der Zulieferkette oder im Absatz Übernahmen machen oder sich selbst entwickeln.

Es ergeben sich neue Möglichkeiten, wo früher Partner oder Mitbewerber aus einer Position der Stärke heraus abgelehnt hätten.

In der Industrie denkt man auch operativ um. Bis zum Ausbruch der Pandemie, war die Idee, dass man kleine Lager führt und nicht zu viel Umlaufkapital in Zwischenprodukten fixiert. Heute dagegen kann es interessant sein, die Lieferbereitschaft zu erhöhen, indem man einen grösseren Puffer hat. Das kostet natürlich. Je nach Firma kann es jedoch dazu führen, dass man einen Auftrag bekommt, weil man lieferfähig ist. Aber es braucht eine enge Zusammenarbeit mit den Kunden, um herauszufinden, ob dann tatsächlich Bestellungen reinkommen.

Drittens – und da haben Schweizer KMU häufig einen grossen Vorteil – sind Firmen, die gut finanziert sind, in Krisen resilienter. Schweizer Firmen haben traditionell viel Eigenkapital. Wenn es schlecht läuft, ist das ein Riesenvorteil. Ebenso, wenn man Banken hat, die mitmachen und Fremdkapital weiterhin zur Verfügung stellen. Das ist für KMU in schlechten Zeiten strategisch relevant.

 

Das Aussenwirtschaftsforum

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