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Herausforderungen in der Seefracht: Empfehlungen für Exporteure

Corona-Pandemie offenbart systemische Mängel

Infolge der Corona-Pandemie manifestieren sich im weltweiten Seefrachttransport seit April 2020 massive Probleme. Claudio Licci, Direktor Seefracht bei Lamprecht Transport AG, berichtet darüber und gibt konkrete Empfehlungen für Schweizer Exporteure.

Seefracht

Während sich die Schwierigkeiten zu Beginn der Krise hauptsächlich auf Importe aus Asien beschränkten, so sind heute sämtliche Fahrtgebiete unter Druck: Frachtunternehmen kämpfen mit Unterkapazitäten, überfüllten Häfen, überlasteten Container-Terminals und ungenügender Infrastruktur.

Container-Schiffe werden immer grösser und können bereits heute bis zu 23’500 TEU (Twenty-Foot Equivalent Unit; Standardcontainer) laden. Wenn mehrere Schiffe dieser Dimension gleichzeitig in einem Seehafen eintreffen, verursacht das grosse logistische Probleme – auch in «normalen» Zeiten. So sind die Häfen von Singapur und Los Angeles/Long Beach durch das grosse Container-Aufkommen oft stark überlastet. Singapur ist als Drehscheibe für den südostasiatischen und den australischen Markt enorm wichtig; die beiden Häfen an der kalifornischen Südküste wickeln rund 40 Prozent der US-Seefracht ab und sind entscheidend für den transpazifischen Verkehr. Kein Wunder, ist die Pünktlichkeit der Schiffe auf ein Allzeittief gesunken: Liefen im Frühling 2020 weltweit noch 65 Prozent der Schiffe termingerecht ein, so waren es ein Jahr später weniger als 35 Prozent. Verspätungen von bis zu sechs Wochen – beispielsweise auf der Route nach China – sind leider keine Seltenheit mehr.

Pandemiebedingte Ausfälle

Bedingt durch die Corona-Pandemie sind in den vergangenen Monaten immer wieder bedeutende Terminals ausgefallen. Und eine Trendwende scheint sich nicht abzuzeichnen: Vor zwei Wochen wurde eine der grössten Hafenanlagen der Welt, jene von Yantian in der südchinesischen Stadt Shenzen, nach der Registrierung neuer Covid-19-Infektionen kurzerhand geschlossen. Viele Container-Schiffe mussten umgeleitet werden, was im Import und Export zu Verspätungen von bis zu 14 Tagen führte. Länder wie Indien, Pakistan und Bangladesch befinden sich zurzeit in einem teilweisen Lockdown: Obwohl die Häfen offen sind, fehlt es in den Terminals an Personal. Auch bei den für den Strassentransport zuständigen Firmen verschärft sich die Situation, weil viele LKW-Fahrer ausgefallen sind. Mit den steigenden Infektionszahlen in Malaysia und Vietnam gab es diese Woche erneut schlechte Nachrichten aus Südostasien.

Systemische Mängel

Die Corona-Pandemie hat in der Seefracht aber nicht nur akute Probleme verursacht, sondern auch eine ganze Reihe systemischer Mängel zum Vorschein gebracht. Zu den grössten Herausforderungen gehören der Mangel an Container-Equipment sowie Schiffsraum. Im April 2020 wurden 551 Schiffe mit einer Kapazität von rund 3 Mio. TEU stillgelegt. Nachdem die Reeder diese Schiffe wieder in Betrieb nahmen, standen dem Markt im vierten Quartal des vergangenen Jahres die entsprechenden Kapazitäten wieder zur Verfügung. Doch weil fast alle Firmen rund um den Globus ihre Lagerbestände ausbauen – und weil der Konsum bereits wieder stark angezogen hat – übertrifft die Nachfrage das Angebot an Schiffsraum bei weitem. Als Folge davon müssen oft Wartezeiten von vier bis fünf Wochen in Kauf genommen werden. Betroffen von diesen Verzögerungen sind gerade die grossen Fahrtgebiete in die USA und nach Asien. Zusätzlich verschärft hat sich die Situation durch die Blockade des Suez-Kanals, die zu Lieferverzögerungen von 20 Tagen und mehr führte. Die «Ever Given» der Reederei Evergreen ist nach der Beschlagnahmung durch die ägyptischen Behörden noch immer ausser Dienst; die 20’000 TEU dieses Schiffs fehlen im Import und Export.

Steigende Preise

Kurz- und mittelfristig wird sich bezüglich der Kapazitäten nicht viel ändern – weshalb sich die Reedereien denn auch vor klaren Prognosen scheuen. Tatsache ist, dass die Reeder den vorhandenen Platz heute besser regulieren als je zuvor. Und klar ist auch, dass zusätzliche Container bzw. weitere Schiffe die bereits prekäre Infrastruktur vieler Häfen weiter belasten würden. Da erstaunt es nicht, dass die Frachtraten in sämtlichen Fahrtgebieten auf neue Höchststände geklettert sind. Und die Preise werden weiter stark steigen: Vor allem für Seefracht in die USA und nach Südamerika muss im Juli mit massiven Erhöhungen gerechnet werden.

Verhaltener Ausblick

Die vorgängig erwähnten Probleme werden den internationalen Seefrachtverkehr noch länger begleiten. Experten sind sich einig, dass sich die Situation nicht vor Ende Jahr ändern wird und eventuell sogar bis nach dem chinesischen Neujahrsfest (1. 2. 2022) bestehen bleibt. Die Gründe für diesen wenig optimistischen Ausblick sind vielfältig:

  • Q3 und Q4 gelten im Handel als die stärksten Quartale im Jahresverlauf. Vor der Tür stehen nicht nur die Golden Week in China (1. bis 7. Oktober 2021), sondern auch der Jahresendspurt (Import und Export für das Weihnachtsgeschäft 2021 haben bereits begonnen).
  • Die Konsumstimmung ist in den USA und in Asien bereits wieder sehr gut und zieht auch in Europa an.
  • Die angelaufenen Konjunkturprogramme verschiedener Staaten werden hohe Transportkapazitäten binden.
  • Der bestehende Overflow an zu transportierenden Containern muss in den kommenden Monaten abgebaut werden, bevor sich die Verhältnisse wieder normalisieren.

Es besteht die berechtigte Hoffnung, dass sich mit dem Fortschritt der Impfprogramme in den einzelnen Ländern auch die Situation auf dem Arbeitsmarkt entspannen wird. Sobald Hafenarbeiter und LKW-Fahrer ihre Arbeit wieder aufnehmen und ohne grössere Einschränkungen ausführen können, wird der Markt Schritt für Schritt zur Normalität zurückkehren. Die Preise für Seefracht werden indessen weiterhin auf einem hohen Niveau bleiben.

Mögliche Alternativen

Die Nordostpassage ist zwischen Juni und Dezember zwar befahrbar, wird vom internationalen Seefrachtverkehr – mit ganz wenigen Ausnahmen – aber nicht genutzt. Hauptgründe dafür sind mangelnde Sicherheit (geringer Tiefgang!) und die fehlende Infrastruktur entlang der Strecke, hauptsächlich aber Überlegungen politischer und ökologischer Natur. Eine valable Alternative wären Bahntransporte von Asien nach Europa – bloss sind auch hier die Kapazitäten auf Wochen hinaus ausgebucht. Ausserdem passen sich die Preise in diesem Segment schnell jenen der Seefracht an. Weil Übersee-Passagierflüge noch immer rar sind, fehlt es auch in der Luftfracht an Kapazitäten – obwohl immer mehr Frachtflugzeuge eingesetzt werden. Während sich die Preise für Luftfracht nach Asien mehr oder weniger auf dem Vor-Corona-Niveau eingependelt haben, sind die Raten für Transporte in die USA oder nach Südamerika heute rund dreimal so hoch wie vor der Pandemie.

Wichtigste Empfehlungen

  • Sprechen Sie mit Ihren Kunden und Lieferanten: Das ermöglicht es Ihnen, Ihre Transporte rechtzeitig zu organisieren.
  • Planen Sie deutlich längere Vorlaufzeiten: Kurzfristige Buchungen sind heute praktisch unmöglich bzw. reine Glückssache.
  • Sprechen Sie rechtzeitig mit Ihrem Spediteur: Gute Forecasts helfen ihm, den benötigten Platz rechtzeitig zu buchen.
  • Prüfen Sie mögliche Optionen: Lassen Sie Ihre Transporte nicht immer nur über die Nordhäfen laufen – die Südhäfen sind eine gute Alternative.

Über Claudio Licci

Claudio Licci ist seit 1982 bei der Firma Lamprecht Transport tätig, heute ist er Mitglied der Geschäftsleitung und für die Seefracht Verkehre der Lamprecht Transport verantwortlich. Nach eine Lehre und Auslandsaufenhalt hat er die Ausbildng zum Speditionsfachmann absolviert und im 2001 die höhere Fachhochschule für Wirtschaft abgeschlossen.

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