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«Die Weltwirtschaft wird sich 2021 voraussichtlich erholen»

Interview mit Prof. Dr. Winfried Ruigrok, Universität St. Gallen

Prof. Dr. Winfried Ruigrok ist überzeugt, dass sich die Weltwirtschaft 2021 erholen wird und Schweizer KMU mit einer internationalen Ausrichtung von dieser Entwicklung überdurchschnittlich profitieren werden. Dem Trend zur Globalisierung könne auch die Corona-Pandemie nichts anhaben.

Prof. Dr. Winfried Ruigrok

Herr Ruigrok, Sie blicken der Zukunft positiv entgegen. Wann wird sich die Weltwirtschaft erholen?

Ich erwarte, dass die Erholung im zweiten Quartal einsetzen wird. Abhängig ist dies von den Covid-19-Impfungen. Bis im zweiten Quartal wird voraussichtlich ein Viertel bis ein Drittel der  besonders gefährdeten Personen geimpft sein. Die Impfungen und der Frühlingsbeginn müssten zu einer Abflachung der Corona-Kurve führen. Dadurch wird es wieder einfacher, Geschäfte zu machen und sich mit anderen Menschen zu treffen – auch international. Der Nachholbedarf ist auf jeden Fall da.

Erwarten Sie eher eine regionale oder eine globale Erholung?

Da sehe ich keine grossen Unterschiede und denke, dass die Erholung global stattfinden wird. China zum Beispiel befindet sich nicht in einer Rezession. Die Wirtschaft ist noch nicht ganz auf Vor-Corona-Niveau, aber nahezu. Deshalb bin ich für den chinesischen Markt optimistisch. Auch Nordamerika wird sich erholen. Südamerika und auch andere Schwellenländer sind noch etwas instabiler, deshalb ist bei diesen Ländern eine Vorhersage schwierig. Auch in Europa und in einem Teil von Asien gehe ich von einer Erholung aus.

Sobald sich die Wirtschaft erholen wird, werden KMU im MEM-Sektor von einer europäischen Nachholnachfrage profitieren können.

Was bedeutet das für Schweizer KMU mit internationaler Ausrichtung?

Das bedeutet, dass Schweizer KMU von dieser Entwicklung überdurchschnittlich profitieren werden. Das internationale Geschäft bleibt weiterhin wichtig oder wird sogar noch wichtiger. Nach Ausbruch der Pandemie waren die Exporte stark beeinträchtigt. Geht das Wachstum zurück, gehen die Exporte noch mehr zurück – das eine ist die logische Folge des anderen. Nimmt das Wachstum wieder zu, werden auch die Exporte wieder zunehmen und es wird wieder einfacher, neue Geschäfte aufzubauen.

Wie gelingt es Unternehmen, ihr internationales Geschäft nachhaltig und sicher auszubauen und welche Prioritäten muss es setzen?

Schon vor der Krise waren die Schweizer KMU gut darin, Geschäftsbeziehungen herzustellen und erfolgreich zu pflegen. Diese Stärke können sie jetzt nutzen. Denn wenn wir etwas gelernt haben in der Krise, ist es, dass virtuelle Begegnungen persönliche Kontakte nicht ganz ersetzen können. Deshalb empfehle ich Schweizer KMU, ihre Kunden und Zulieferer – mit der gebotenen Vorsicht – wieder persönlich zu besuchen, sobald dies möglich ist. Ihre Geschäftspartner werden es enorm schätzen, wenn sich die Schweizer wieder zeigen und Interesse bekunden, wie es ihnen während der Pandemie ergangen ist.

Welche Branchen waren während der Pandemie besonders betroffen, welche weniger?

Stark gelitten hat in dieser Zeit der MEM-Sektor. Sobald sich die Wirtschaft jedoch erholen wird, werden KMU im MEM-Sektor von einer europäischen Nachholnachfrage profitieren können. Stabil waren und sind Retail und Pharma sowie zum Teil auch Branchen, die ihren Fokus im Inland haben. Der Infrastrukturmarkt wird sich aufgrund der Unterstützung durch die Regierungen tendenziell verbessern, und zwar auf globaler Ebene. Food war generell weniger stark beeinträchtigt. Auch Medtech blieb stabil.

Bleibt der chinesische Markt für Schweizer KMU interessant?

Auf jeden Fall. Die Tatsache, dass wir mit China ein Freihandelsabkommen haben, ist für uns vorteilhaft. Zudem werden die chinesische Regierung und chinesische Unternehmen nach vier Jahren der Trump-Regierung in Europa neue Freunde und Geschäftsbeziehungen erschliessen wollen. China braucht Freunde. Mehr denn je. Auch wenn die EU und China einen neuen Investitionsvertrag abschliessen, muss dies für Schweizer KMU kein Nachteil sein. Die Schweiz bietet als neutrales Land gerade China enorme Vorteile. Von der Biden-Regierung erwarte ich höchstens Druck auf die EU, weniger aber auf die Schweiz.

Trotz gewissen Vorbehalten macht es Sinn, Geschäftsbeziehungen möglichst schnell auch auf persönlicher Ebene wieder zu festigen.

In welchen anderen Ländern hat die Schweiz aufgrund ihrer neutralen Position ebenfalls gute Chancen?

Der Aufbau der Beziehungen zwischen Israel und immer mehr arabischen Ländern bietet der neutralen Schweiz und auch Schweizer KMU mit ihren Stärken in der Technologie-, Pharma- und Finanzbranche riesige Möglichkeiten. Die Schweiz hatte schon in der Vergangenheit gute Beziehungen zu einigen arabischen Ländern. Auch zu Israel gibt es gute Beziehungen, insbesondere in der Technologiebranche. In Zukunft wird es kein Problem mehr sein, sowohl mit Israel als auch mit Ägypten oder den Emiraten Geschäfte zu machen. Eine Erleichterung auch für KMU, insbesondere wenn es darum geht, Personen in diese Länder zu entsenden.

Wo sehen Sie im kommenden Jahr die grössten Herausforderungen für Schweizer KMU in Bezug auf Export?

Viele Unternehmen haben stark gelitten. Ich hoffe natürlich, dass sie trotz Corona-Krise überlebt haben. Die Herausforderung wird operativer oder menschlicher Art sein: Wann ist es an der Zeit, seine Kunden wieder zu besuchen. Das wird zu Diskussionen führen. Trotz gewissen Vorbehalten macht es Sinn, Geschäftsbeziehungen möglichst schnell auch auf persönlicher Ebene wieder zu festigen. Gerade in Asien oder in den Wachstumsmärkten ist der persönliche Kontakt kulturell bedingt noch viel wichtiger als in Europa oder in Nordamerika.

Was bedeuten diese Veränderungen für den Wirtschaftsstandort Schweiz und Unternehmen, die sich hier ansiedeln möchten?

Die Schweiz bietet ausländischen Unternehmen weiterhin einen sehr attraktiven Standort. Auch wenn aufgrund des internationalen Drucks gewisse Steuervorteile weniger ausgeprägt sind, bietet sie ausländischen Investoren eine sehr gut ausgebildete, flexible und multilinguale Berufsbevölkerung, herausragende internationale Verbindungen, ein stabiles und sicheres Umfeld sowie eine hohe Lebensqualität.

Über Winfried Ruigrok

Winfried Ruigrok ist Professor für Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Internationales Management und forscht und lehrt seit 1996 an der Universität St. Gallen (HSG). Er ist zudem Akademischer Direktor (Dean) der Executive School of Management, Technology and Law (ES-HSG) sowie Direktor der Forschungsstelle für Internationales Management (FIM-HSG). Sein Doktorat erlangte er an der Universität von Amsterdam (NL). Es folgten Tätigkeiten an der Warwick Business School (UK), der Erasmus Universität Rotterdam/Rotterdam School of Management (NL), für die EU-Kommission (B) und die Niederländische Organisation für Internationale Entwicklungshilfezusammenarbeit (NL). Er hat über 100 Publikationen veröffentlicht und mehrere Preise empfangen.

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