Expertise

«Kosten und Effizienz werden auch in Zukunft entscheiden, wo man produziert»

Steuern wir nach Corona auf eine Welle von protektionistischen Massnahmen zu oder lässt sich eher das Gegenteil beobachten? Welche Rolle spielen On- und Nearshoring in Zukunft und was ist dran an der These, dass die Globalisierung, wie wir sie kennen, ihrem Ende zusteuert? Oliver Adler, Chief Economist Switzerland der Credit Suisse, warnt im Gespräch vor voreiligen Schlüssen.

Oliver Adler

Herr Adler, die Exporte sind von grosser Bedeutung für die Schweizer Wirtschaft (sie machen gut 40% des BIP aus), die Corona-Krise hat den internationalen Handel stark getroffen. Wie würden Sie die aktuelle Lage der Schweizer Firmen einschätzen? Welche Perspektiven sehen Sie?

Das ist je nach Branche sehr unterschiedlich und deshalb nicht einfach zu beantworten. Zudem wird sich wahrscheinlich das Bild über die Zeit recht rasch ändern: Wir wissen, dass die Pharmaindustrie von der Krise kaum betroffen ist, und teilweise sogar profitierte. Die MEM-Industrie wurde hingegen unmittelbar und stark betroffen, insbesondere die Zulieferer in die deutsche Automobilindustrie. Nun, da die Nachfrage wieder anzieht und der deutsche Staat sogar Subventionen für Autokäufe verabschiedet hat, könnte sich die Situation relativ rasch wieder verbessern. Im Bereich der Investitionsgüter könnte sich die Erholung verzögern, denn in vielen Ländern, nicht zuletzt den USA werden Unternehmen bei den Investitionen noch längere Zeit vorsichtig bleiben. Aber ich denke mit dem Fortschreiten der konjunkturellen Erholung, an deren Anfang wir uns schon befinden, sollte sich die Lage breitflächig wieder verbessern.

Wie können Schweizer Firmen in diesem wirtschaftlichen Umfeld bestehen?

Allgemeingültige Erfolgsrezepte gibt aus meiner Warte wohl kaum.

Grundsätzlich gilt es sicher, die guten Kundenbeziehungen aufrecht zu erhalten und die Zeit zu nutzen, die Positionierung im Markt zu überprüfen.

Beides ist wohl für die meisten Unternehmen eine Selbstverständlichkeit. Der Rest ist im Moment externen Umständen geschuldet, da kann man als Unternehmen wenig ändern. Unternehmen sind abhängig von den Entscheiden der Regierungen in verschiedenen Ländern und dem allgemeinen Wirtschaftsverlauf.

Im Interview mit uns vor zwei Jahren ging es um den Protektionismus, auch heute kommt dem Thema wieder eine wichtige Bedeutung zu: Wie schätzen Sie die Situation ein für Schweizer Exporteure, welches sind jetzt die grössten Herausforderungen für international tätige Unternehmen?

Protektionismus ist und bleibt ein wichtiges Thema. Der US-Chinesische Handelskonflikt ist nicht beigelegt und könnte sich sogar wieder verschärfen. Manchmal sind Schweizer Unternehmen indirekt von diesem Konflikt betroffen, aber der Konflikt ist primär bilateral. Insgesamt sind die Rahmenbedingungen für international tätige Schweizer Firmen recht stabil.

Zu Beginn der Pandemie gab es eine gewisse Verschärfung, als einige Länder die Exporte von medizinischem Schutzmaterial beschränkten. Aber man sah auch das Gegenteil. Z.B. profitierte Roche von einem beschleunigten Zulassungsverfahren der FDA bezüglich Corona-Testing in den USA. Vor allem für unsere KMU bleibt es auch nach der Krise zentral, dass sie guten Zugang zum EU-Markt haben. Solange wir diesen Zugang erhalten oder gar verbessern können und zusätzliche Freihandelsabkommen abschliessen könnten, würde die Position unserer Exporteure gestärkt. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass der vielbeschworene Wandel durch Corona vielleicht gar nicht so gross sein wird wie manche es meinen. Die anderen Themen, die schon vor der Krise im Vordergrund standen, sind eigentlich wichtiger.

Der wichtigste Schweizer Handelspartner ist die EU, doch auch Märkte wie die USA und China sind von grosser Bedeutung. Wie schätzen Sie die Zukunft ein für den Handel von Schweizer Unternehmen in und mit diesen Märkten?

Wie bereits gesagt: Es ist zentral, dass wir die Verträge mit der EU halten können. Das Freihandelsabkommen mit China bleibt auch wichtig und wenn wir ein derartiges Abkommen mit den USA abschliessen könnten, würde das helfen. Im Moment sieht es aber nicht danach aus, als ob dies bald geschehen wird. D.h. die Rahmenbedingungen werden sich wahrscheinlich nicht stark ändern. Politische Änderungen in den USA könnten allenfalls den Fokus wieder auf die Pharmaindustrie lenken, aber momentan sieht es nicht danach aus. Die konjunkturelle Entwicklung bleibt damit im Vordergrund. Und auch wenn diese, wie erwähnt, sich zu verbessern beginnt, wird der Welthandel wohl noch eine längere Weile schwächer bleiben als vor der Coronakrise. Ein Thema, welches nichts mit Corona zu tun hat, ist der Brexit. Da steigt das Risiko, dass die Verhandlungen zwischen der EU und Grossbritannien scheitern und somit die Zölle zwischen den beiden Regionen steigen. Die Schweiz und Grossbritannien sollten aber eigentlich eine gute bilaterale Lösung finden können, da die Schweiz vom Verhandlungsresultat der EU und Grossbritanniens wenig betroffen ist.

Die Abhängigkeit von China in Sachen Beschaffung und Produktion zeigte sich zu Beginn der Krise als Problem für zahlreiche Firmen, die auf chinesische Lieferungen warteten. Wird sich diese Abhängigkeit in Zukunft verändern? Wo sehen Sie die grössten Schwierigkeiten bei der Re-Evaluation von Standorten?

Eigentlich sehe ich hier eher das Risiko, dass wir selbst als Folge der vermeintlichen Probleme während der Corona-Pandemie protektionistische Massnahmen ergreifen: Es gibt ja Stimmen, die sagen, wir müssten nun viel mehr «strategische» Güter in der Schweiz produzieren. Das würde in den meisten Fällen ganz einfach die Kosten erhöhen und uns kaum vor einer nächsten Pandemie schützen. Ich hoffe, dass die Diskussionen über diese Art Verlagerung wieder abflauen.

Meiner Meinung nach sollten die Kosten – natürlich adjustiert für die Qualität von Gütern - weiterhin der zentrale Treiber für Entscheidungen über Produktionsstandorte sein. Eine gewisse Diversifikation von möglichen Lieferanten ist sicher nützlich und senkt das Risiko von Engpässen.

Aber, dass wir nun viele Güter teuer in der Schweiz auf Vorrat produzieren, scheint nicht sehr sinnvoll. Wer weiss,  womöglich hätten wir bei einer nächsten Pandemie gerade die falschen Produkte in den Lagern.

Woran könnte man sonst denken?

Das Team um Professor Simon Evenett an der Hochschule St. Gallen forscht seit der Finanzkrise intensiv über nichttarifäre Handelshemmnisse. Diese sind inzwischen viel wichtiger als Zölle. Evenett und ein Kollege haben festgestellt, dass während der Coronakrise zwar einige Länder Exporte von medizinischen Gütern beschränkt haben, viele Länder aber Import-Hemmnisse abgebaut haben. Sie haben deshalb einen Vorschlag lanciert, dass Länder innerhalb der WTO ein neues Sonderabkommen beschliessen, welches exportierenden Ländern zusichert, dass die ihre Güter ohne Hemmnisse ausführen können, sofern sie sich verpflichten im Krisenfall keine Exportbeschränkungen einzuführen. Das scheint mir eine sehr interessante Reaktion auf die Krise, welche den internationalen Handel stabilisieren und sogar intensivieren könnte. Es wäre schön, wenn die Krise derartige positive Wirkungen zeitigen könnte.

Und zur Diversifizierung?

Eine Diversifizierung der Importquellen ist sicher nicht falsch, aber ich weiss nicht, ob der Staat hier eine grosse Rolle spielen sollte. Ich könnte mir vorstellen, in kritischen Bereichen Abnahmeverträge aufzusetzen, die vom Staat garantiert würden. Das würde die Krisenanfälligkeit reduzieren. Aber dass staatlich vorgeschrieben wird, dass man nun 5 anstatt 2 Zulieferer für Produkt X haben soll, scheint mir wenig sinnvoll.

Statt Mikromanagement muss der Staat gute allgemeine Rahmenbedingungen für den Handel schaffen und diese auch international aushandeln.

Von einigen Experten und Journalisten ist zu hören, dass wir auf ein Ende der Globalisierung, wie wir sie kennen, zusteuern. Was halten Sie von dieser These?

Auch das halte ich als eher übertrieben. Allerdings denke ich schon, dass der aktuelle Konflikt zwischen den USA und China über den Zugang zu Hochtechnologie in gewissen Bereichen zu einer Art Zweiteilung der Welt führen könnte, wo dann auch andere Staaten gezwungen würden, die eine oder andere Seite zu wählen. Allenfalls könnte die EU eine Sonderrolle zwischen den zwei Kontrahenten spielen. Im Moment gibt es ja Anzeichen, dass sich auch Deutschland Sorgen um den Schutz von geistigem Eigentum macht. Ich hoffe auch hier, dass es nicht zu einer verfahrenen Blockbildung kommt, sondern dass man im Rahmen internationaler Abkommen den Austausch möglichst offenhalten kann. China hat ja auch ein zentrales Interesse daran, Handel zu treiben. Vielleicht kann man sich auf neue Regeln einigen, an die sich alle halten. Ob das gelingen wird, weiss ich nicht. Aber auch eine partielle Teilung der Welt im Bereich gewisser Hochtechnologien müsste ja nicht gleich das Ende der Globalisierung bedeuten. Das Ende der Globalisierung anzukündigen, finde ich ein wenig zu schwarzgemalt.

Eine grosse Herausforderung für die Aussenwirtschaft bleiben die teilweise immer noch bestehenden Reiserestriktionen und geschlossenen Grenzen, wie schätzen Sie die Entwicklungen ein?

Ich denke, das ist ein vorübergehendes Problem. Natürlich könnte es relativ lange gehen, bis wir wieder zum internationalen Massentourismus zurückkehren, den wir hatten. Wenn man, überspitzt gesagt, aus Sicherheitsgründen nur noch jeden zweiten Sitz im Flugzeug belegen kann, dann wird das Fliegen zwangsweiseteurer werden. Wir sind also wieder bei den Kosten. Allerdings wäre das schon eine sehr indirekte und nicht gerade effiziente Art das Problem der CO2-Ausstosses zu lösen.

Unterstützung im Export

Switzerland Global Enterprise (S-GE) begleitet Sie auf dem Weg in neue Märkte – mit konkreten Informationen, kompetenter Beratung und einem globalen Experten-Netzwerk. Wir orientieren Sie über relevante Entwicklungen in den globalen Märkten, vermitteln Kontakte und Partner und zeigen neue Geschäftsmöglichkeiten auf.

Links

Weiterlesen
Teilen

Official program